Die Verlassenen: The Leftovers - Roman (German Edition) by Perrotta Tom

Autor:Perrotta, Tom [Perrotta, Tom]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2014-10-19T16:00:00+00:00

Daisy’s Diner war einer dieser Retroläden mit massenweise Edelstahl und weinrotem Kunstleder. Vor etwa zwanzig Jahren war er liebevoll renoviert worden und alterte nun von Neuem – die Bänke waren mit Klebeband geflickt, die Kaffeebecher angesplittert, und der einstmals glänzende Schachbrettboden war matt und verkratzt.

Aus der Stereoanlage erklang Bing Crosbys Version von »Little Drummer Boy«. Kevin rieb ein Guckloch in der beschlagenen Scheibe frei und betrachtete zufrieden die Feiertagsdekoration draußen vor dem Fenster: Riesige Schneeflocken und Zuckerstangen hingen an einem Drahtseil quer über die Main Street, Kränze aus echtem Immergrün schmückten die Laternen, und die Innenstadt war voller Autos und Fußgänger.

»Sieht gut aus dieses Jahr«, stellte er fest. »Jetzt brauchen wir nur noch ein bisschen Schnee.«

Jill brummte nichtssagend und biss in ihren Veggieburger. Kevin fühlte sich etwas schuldig, weil er ihr erlaubt hatte, für das Mittagessen mit ihm eine Stunde zu schwänzen. Aber sie mussten sich unterhalten, und zu Hause, wo Aimee ständig herumschwirrte, war das schwierig. Außerdem war das Kind in diesem Halbjahr ohnehin schon in den Brunnen gefallen.

Das Treffen mit der Vertrauenslehrerin war, gelinde gesagt, unerfreulich verlaufen. Irgendwie war Kevin schon klar gewesen, dass Jills Noten immer schlechter wurden, aber er hatte den Ernst der Lage unterschätzt. Früher war seine Tochter eine klare Einserschülerin mit hervorragenden Noten bei der Aufnahmeprüfung fürs College gewesen. Jetzt war sie dabei, in Mathe und Chemie durchzufallen, und konnte in Englisch und Geschichte – zwei ihrer besten Fächer – gerade noch auf eine Drei kommen, wenn sie die Abschlussklausuren mit Bravour bestand und noch vor den Weihnachtsferien einige überfällige Hausaufgaben einreichte, was jeden Tag ein wenig unwahrscheinlicher wurde.

»Ich weiß nicht, was ich noch tun soll«, hatte die Vertrauenslehrerin geklagt. Sie war eine ernsthafte junge Frau mit langem, glattem Haar und einer randlosen, achteckigen Brille. »Wir stehen hier vor einem schulischen Totalausfall.«

Jill hatte einfach nur dagesessen und sich alles mit einem Pokerface angehört, das zwischen höflicher Langeweile und leichter Belustigung changierte, als würde gerade über jemand ganz anderen gesprochen – über ein Mädchen, das sie kaum kannte. Auch Kevin selbst musste sich harte Kritik gefallen lassen. Ms. Margolis verstand nicht, wie er so gleichgültig hatte sein können, wieso er nie mit Jills Lehrern gesprochen oder auf die E-Mails bezüglich der mangelhaften Leistungen seiner Tochter geantwortet hatte.

»Welche E-Mails?«, fragte er. »Ich habe keine E-Mails bekommen.«

Wie sich herausstellte, gingen die Mails immer noch an Laurie, sodass er sie tatsächlich nie zu Gesicht bekommen hatte. Allerdings stützte dieses Durcheinander nur das Hauptargument der Vertrauenslehrerin, Jill werde zu Hause zu wenig unterstützt und beaufsichtigt. Kevin widersprach nicht – er wusste, dass er Mist gebaut hatte. Schon seit Tom in den Kindergarten gegangen war, hatte Laurie sich um alle schulischen Dinge gekümmert. Sie hatte die Hausaufgaben beaufsichtigt, Zeugnisse und Erlaubniserklärungen für Schulausflüge unterschrieben und die neuen Lehrer auf den Elternabenden kennengelernt. Kevin hatte all die Jahre nur interessiert aussehen müssen, wenn sie ihm erzählte, was los war. Ganz offensichtlich hatte er sich noch nicht damit abgefunden, dass all diese Verantwortung jetzt auf seinen Schultern lag.

»Mir ist klar, dass es bei Ihnen zu Hause in letzter Zeit etwas … turbulent war«, sagte Ms.

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