Die unsichtbare Bibliothek by Genevieve Cogman

Die unsichtbare Bibliothek by Genevieve Cogman

Autor:Genevieve Cogman [Cogman, Genevieve]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2015-07-14T16:00:00+00:00


DREIZEHNTES KAPITEL

Die Kutsche versank nicht elegant im Wasser wie ein sterbender Schwan: Sie schlug mit schepperndem Getöse auf der Wasseroberfläche auf. Bei dem Aufprall wurde Irene gegen Kai geschleudert – und Kai in Vale hinein, was Vale gegen die Kutschenwand drückte.

Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung, dachte Irene benommen. Sie sollte über einen Ausweg aus dieser Situation nachdenken, doch die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum wie verängstigte Kaninchen. Eigentlich war ihr nicht nach Denken zumute.

Die Droschke überschlug sich, als sie zu sinken begann; als dann der Fluss an ihr zerrte, rollte sie sich auch noch herum. Automatisch packten alle drei nach Griffen und Bänken, um sich festzuhalten, und zwängten sich in die Ecken hinein, bis das Gefährt mit rüttelnden Bewegungen auf der Seite zum Liegen kam. Schwarzes Themse-Wasser bedeckte die Fenster; es hielt zwar nicht das Licht vollkommen fern, doch für die drei war es nur noch gerade so möglich, sich gegenseitig zu erkennen.

»Das übliche Verhaltensprotokoll in Fällen wie diesen besagt, dass wir warten sollten, bis wir vollständig untergetaucht sind; anschließend soll man ein Fenster öffnen, um den Wasserdruck auszugleichen, und zur Oberfläche hochschwimmen«, führte Vale aus. Über das Knarren der Kutsche und das langsam tröpfelnde Geräusch von Wasser hinweg konnte Irene aus seiner Stimme die reine Selbstbeherrschung heraushören. »Doch wenn jene Person die Droschke versiegelt hat – und wenn man bedenkt, dass ich vorhin das Fenster nicht zerbrechen konnte –, dann dürfte diese Vorgehensweise unwirksam sein.«

Richtig. Sie musste Vale von Alberich erzählen. Sie schuldete ihm jetzt eine Erklärung über sehr viele Dinge. Aber was brachte dies, wo sie gerade im Begriff waren zu sterben … Nun ja, das beseitigte schon den Bedarf an Rechtfertigungen. Trotzdem gab es andere Möglichkeiten, Angelegenheiten dieser Art aus dem Weg zu gehen, und sie versuchte gerade erneut, dem Nachdenken auszuweichen. Und das Wasser drückte von oben auf sie herab, nicht mehr lange und sie alle waren tot …

Er will nicht nur einfach, dass wir umkommen. Er will, dass wir voller Furcht sterben – in der Dunkelheit und langsam. Es ist nicht so, dass er uns nur aus dem Weg haben will, damit er ungestört arbeiten kann. Es ist schlicht und einfach Bosheit.

Sie hatte sich gefürchtet. Sie hatte sich so sehr gefürchtet, dass sie in eine Ecke zurückgeschreckt und unwillens gewesen war zu sprechen – ganz zu schweigen davon, etwas zu unternehmen. Aber jetzt erwachte etwas anderes in ihr.

Das werde ich nicht hinnehmen!

»Dann werden wir eben einen Weg finden müssen, um das hier zu zerbrechen«, verkündete Irene. Sie zwang sich dazu, sich vorzubeugen. »Was ein Mensch bewirken kann, vermag ein anderer zunichtezumachen.« Allein die Worte auszusprechen ließ das, was sie ausdrückten, in den Bereich des Möglichen rücken, und es verlieh Irene Stärke.

»Aber du kannst seiner Magie nichts anhaben!«, behauptete Kai. »Sie hat dich schließlich infiziert, als dich diese Tür beinahe umbrachte!«

Sie wünschte, sie hätte die Zeit dazu, dies in Ruhe zu durchdenken, zu planen und zu überlegen. »Augenblick!«, rief sie, zog den Handschuh von ihrer verletzten Hand und wies mit den Fingern auf das Fenster.



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