Die Tibeterin by Cesco Federica de

Die Tibeterin by Cesco Federica de

Autor:Cesco, Federica de [Cesco, Federica de]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-26T16:00:00+00:00


28. Kapitel

Ich brach nach einer Weile das Schweigen.

»Atan?«

Er erwiderte meinen Blick wie jemand, der mit halbem Geist woanders ist.

»Ja?«

»Erzähl weiter«, sagte ich.

Er straffte sich, warf einige Zweige in die Glut. Er hatte wieder vollkommene Gewalt über sich selbst, vollkommene Ruhe. Die Worte kamen ihm gelassen von der Zunge.

»Die Familie meines Großvaters«, begann er, »gehörte zu den berühmten »Zehn Sippen von Nangchen«. Sie kamen von dorther, wo die Sonne aufsteigt; sie bewachten ihre Herden und gründeten niemals Städte. Wenn das Gras abgeweidet war, zogen sie weiter. Sie pflanzten kein Getreide an, aber ihre Waffen waren stets die besten. In ihren Werkstätten unter freiem Himmel schmiedeten sie Säbel und Lanzen, auch Gewehre. Sie hatten die Ebenen bis zum Gelben Fluß erobert, das »Volk der Gräser« - die Ackerbauern - unterworfen. Das Blut, das in ihren Adern floß, war das Blut der Könige. Sie lebten in Steppen und Hochtälern; die wilden Tiere, die Wölfe, die Bären, die Schneeleoparden waren ihre Gefährten. Im Frühling begaben sie sich bewaffnet auf die Wanderschaft, um in den Städten Tauschhandel zu treiben. Doch im Laufe der Jahrhunderte änderten sich ihre Lebensgewohnheiten. Zuerst suchten sie in Hütten Zuflucht vor den Winterstürmen, dann bauten sie Häuser für die kalte Jahreszeit.

Unser Haus befand sich in der Klosterstadt Lithang und war nicht aus Lehm, sondern aus zerschlagenen Felsblöcken gebaut. Ein eisenbeschlagenes Doppeltor aus massivem Holz führte in den gepflasterten Hof mit den Stallungen für die Pferde. Quadratische Steinsockel erlaubten ein müheloses Besteigen der Reittiere. Die Herden überwinterten im Freien, wurden aber bei starkem Schneefall in Gehegen untergebracht, damit sie vor wilden Tieren sicher waren. Das Haus hatte hochgezogene Mauerpfeiler an den vier Ecken des Flachdaches, was ihm das Aussehen einer türm- und zinnenbewehrten Burg gab. In Kham trug jedes Haus am Dachfirst die Symbole des Phurbu, des dreikantigen Zauberdolches mit dem Yakschwanz, die Beschwörungszeichen gegen Blitz und Donner.

Diese Steinsymbole waren oft schon uralt und zerbröckelt. In alle Hauswände war das linksdrehende Hakenkreuz eingeritzt, in der Bon-Religion das Emblem der vier Himmelsrichtungen. In die Enden der Deckenbalken waren Tierköpfe geschnitzt. Zu dem Flachdach gelangte man mit einer Leiter. Dort stand der große Weihrauch-Opferofen für das Morgengebet. Auf dem Dach wurde Brennholz aufgeschichtet und das Heu im Herbst über dem Dachrand getrocknet. Auf Strohmatten und Leinentüchern lagen Buchweizen, Gerste, Mais, Erbsen, Raps und Hanf. Gelbe Kürbisse waren aufgeschichtet. Vor Beginn der Schneefälle wurden die Wintervorräte ein letztes Mal in der Sonne gewendet und das Heu gestapelt. Auf dem Dach lagerten auch die Rückstände des Gerstenbiers, das in großen Holzgefäßen gärte. Das Leben war hart; nichts durfte vergeudet werden. Unten im Haus gab es einen besonderen Raum, mit Löchern im Boden, wo wir unsere Notdurft erledigten. Die Fäkalien wurden in Behältern gesammelt und als Dung verwendet.

Grundsätzlich waren unsere Häuser die steinere Übertragung der Nomadenzelte. Ein einziger großer Raum diente als Koch-, Wohn- und Schlafbereich. Der Boden war aus gestampftem Lehm und blitzsauber. In der Mitte befand sich die aus feuerfestem Lehm gebaute Kochstelle, das Zentrum des Familienlebens. Ähnlich wie in China besaß sie drei große, eingemauerte Kessel, jeder dafür vorgesehen, ein besonderes Gericht zu kochen.



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