Die stummen Gäste von Zweitlinden by Anny von Panhuys

Die stummen Gäste von Zweitlinden by Anny von Panhuys

Autor:Anny von Panhuys [Panhuys, Anny von]
Die sprache: tah
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2016-06-05T00:00:00+00:00


16. Kapitel

Am Montag früh wollte Angela die Annonce in die Straße Pelayo bringen, wo sich die vielgelesene Morgenzeitung „Vanguardia“ befindet, aber ihr Vater fühlte sich nicht wohl, und sie konnte erst spät in ihren Kiosk gehen; da mußte sie den Gang notgedrungen auf den Nachmittag verschieben. Nach dem Essen erklärte ihr Vater: „Ich fühle mich wieder ganz wohl und möchte nachher einen längeren Spaziergang machen.“

Angela dachte, daß sich ihr heute vielleicht die Gelegenheit bot, zu erforschen, wohin der Vater ging und wo er immer gewesen, wenn er mit so nachdenklicher und doch zufriedener Miene nach Hause zurückkehrte.

Sie wartete sein Weggehen ab und folgte ihm. Er ging schnurstracks nach der Station der Untergrundbahn. Sie mußte sehr vorsichtig sein, um nicht von ihm gesehen zu werden; aber es gelang ihr, da er sich nicht umwandte. Sie nahm eine Fahrkarte bis zum Ende der Strecke, und als er in den ersten Wagen stieg, bestieg sie den zweiten. Vom vordersten Fenster aus konnte sie in den ersten Wagen hineinsehen.

Sie sah, wie sich der Vater setzte und daß er sitzenblieb bis zum Platz Catalunna. Nach dem Aussteigen ging er ein Stück die Ramblas hinunter, die schöne, alte Hauptverkehrsstraße der Stadt, und dann bog er nach der Straße Carmen hinüber.

Jetzt war Angela wirklich gespannt, wohin er seine Schritte lenkte. Sie hatte sich ihr helles Kleid angezogen und sah so schön aus, daß die Leute ihr nachblickten. Aber sie achtete nicht darauf. Sie kam so selten einmal in diese Gegend, wo das Herz der großen Stadt am wärmsten und kräftigsten schlug. Alles interessierte sie, und dabei mußte sie noch auf den voranschreitenden Vater achten, denn die Spannung der Frage wuchs von Sekunde zu Sekunde: Wohin geht der Vater denn eigentlich?

An der Ecke der Straße Carmen verweilte er flüchtig. Dann trat er in die Kirche ein und war ihren Augen entschwunden.

Angela blinzelte in den strahlenden Nachmittag. Sie mußte sich geirrt haben. Es war doch unmöglich, was ihre Augen eben gesehen hatten, und nach einem Weilchen betrat sie ebenfalls die dämmerkühle Kirche. Sie tauchte ihre Finger in das Weihwasserbecken, neigte sich, das Kreuzeszeichen machend, in der Richtung des Hochaltars und spähte dann nach dem Vater aus.

Endlich fand ihn ihr Auge; dort drüben saß er auf einer Bank nahe einem Seitenaltar, den viele Kerzen umflammten. Sie setzte sich zwei Bänke weiter zurück und beobachtete ihn.

Wenn sie es nicht ganz genau wüßte, würde sie denken, eine Ähnlichkeit narrte sie, und es wäre gar nicht ihr Vater, der da vor ihr saß wie einer, der tief in sein Gebet versunken. Sie beobachtete dann, wie er sich mit den Händen über die Stirn fuhr, und ihr war, als höre sie ihn leise vor sich hin flüstern. Sonderbar war das alles, so befremdend und seltsam.

Plötzlich erschrak sie. Wenn ihr Vater aufstände und sie sähe! Er tat so heimlich mit seinem Kirchgang; es war ihm bestimmt nicht recht, wenn sie darum wußte.

Sie schritt nachdenklich die Ramblas wieder hinauf und betrat die Expedition der „Vanguardia“. Sie hatte ihre Annonce zu Hause entworfen und reichte sie einer der Angestellten.



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