Die Sonne der Sterbenden by Jean-Claude Izzo

Die Sonne der Sterbenden by Jean-Claude Izzo

Autor:Jean-Claude Izzo [Izzo, Jean-Claude]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Frankreich, Marseille, Paris
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-16T16:00:00+00:00


14

Nach dem Schnee der Mistral, und die Kälte, wie immer

In Avignon lag kein Schnee, stattdessen wurde es vom Mistral gebeutelt. Rico hatte kaum einen Fuß auf den Bahnsteig gesetzt, als er spürte, wie der Wind seinen Körper erstarren ließ. Er beeilte sich, in die unterirdische Passage zu kommen, um sich in Schutz zu bringen. Dort, in dem langen Gang, konnte er wieder durchatmen.

In der wenig belebten Bahnhofshalle wollten anscheinend alle so schnell wie möglich nach Hause kommen. Rico wusste nicht so recht, was er tun sollte. Die Nacht in einer Ecke des Bahnhofs verbringen oder in den Mistral hinausgehen und sich einen Unterschlupf suchen, bis der erste Zug nach Marseille fuhr. Er spürte, dass Blicke auf ihn gerichtet waren. Skinheads mit ihren Hunden. Sechs, davon zwei Mädchen. Alle mit rasiertem Schädel. Sie hingen bei den Telefonzellen herum, in der Passage, die von der Halle zur Bahnhofskneipe führte.

Rico reagierte nicht schnell genug. Eines der Mädchen löste sich von der Gruppe und kam mit der Zigarette zwischen den Lippen auf ihn zu. Einer der Hunde folgte ihr, ein Bastard mit einer Wolfsschnauze. Das Mädchen pflanzte sich vor Rico auf. Sie hatte kleine Silberringe an den Ohren, an den Augenbrauen und zwischen den Nasenlöchern. Sie stank nach Schmutz und Bier.

»Hast du mal ’ne Kippe für mich?«, fragte sie ihn und blies ihm ihren Rauch ins Gesicht.

Der Hund schnüffelte an seinen Schuhen und seinem Hosensaum. Er wird mich gleich anpissen, dachte er. So was hatte er schon mal gesehen, im Bahnhof Saint-Lazare. Manche Skinheads dressierten sie darauf. Sie fanden es lustiger, wenn ihr Hund nicht Bäume anpisste, sondern die Beine von Leuten. Er zog seine Schachtel raus. Fortuna, die er in Lyon gekauft hatte. Sie waren billig, aber es gab sie nicht überall. Er reichte ihr die Schachtel hin und vermied es dabei, sie anzusehen. Sie hatte verwaschene blaue Augen. Trüb. Genauso dreckig, wie ihr Körper sein musste. Das Mädchen nahm eine Zigarette und steckte sie hinters rechte Ohr.

»Und auch eine für meinen Kumpel?«

Der Hund schnüffelte jetzt zwischen seinen Beinen herum. Bereit, ihn in die Eier zu beißen. Er wusste, die ganze Situation konnte schnell umkippen. Vier Typen, zwei Hunde. Wenn sie über ihn herfielen, konnte er nichts machen. Und niemand würde ihm helfen.

»Warum nicht«, sagte er schließlich.

Das Mädchen machte die gleiche Bewegung, und die Zigarette landete hinter dem linken Ohr. Auf ihren schmalen Lippen schwebte ein fieses Lächeln. So verlockend wie eine Rasierklinge. Sie hatte eine ebenso degenerierte Fresse wie der Hund, der ihm am Hintern klebte.

»Und hast du vielleicht auch hundert Francs?«

»Du hast mich wohl nicht richtig angesehen.«

Ein Skin – der Kerl von dem Mädchen? – löste sich von der Gruppe und schob sich mit verhaltenem Schritt auf sie zu, eine Flasche Valstar in der Hand. Er war fast zwei Meter groß und musste etwa hundertfünfzig Kilo wiegen. Ein Riese.

»Willst du ’nen Schluck trinken, Kumpel?« Er streckte Rico die Flasche hin.

Ja? Nein? Das war vielleicht der Auslöser für eine Tracht Prügel. Die Hand, die die Flasche hielt, war groß und dick. Ein Schläger.



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