Die Seele meiner Schwester by Trisha Leaver

Autor:Trisha Leaver [Leaver, Trisha]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kinder- und Jugendbücher
Herausgeber: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
veröffentlicht: 2017-05-23T22:00:00+00:00

21

Ich öffnete die Tür zum hinteren Treppenhaus der Schule. Es lag so weit abseits, dass es kaum jemand benutzte. Hier im dritten Stock befand sich der Treppenhauszugang zwischen dem Kunstraum und der Hausmeisterkammer. Die meisten Leute nahmen lieber die breite Haupttreppe, die einen direkt vor der Cafeteria und am Ausgang zum Parkplatz ausspuckte. Diese enge Hintertreppe führte – außer in die dunkelsten Ecken jeder Etage – nirgendwohin.

Es war ganz still hier, ich hörte nur das Echo meiner eigenen Gedanken, und das war genau das, was ich wollte – einen Ort, der so weit weg von allem war, dass ich in Ruhe nachdenken und mich sammeln konnte.

Auf halber Treppe befand sich ein großes Fenster mit einem Sims, der breit genug war, um darauf zu sitzen. Von meiner Stunde Freies Lernen waren nur noch fünfzehn Minuten übrig. Jetzt noch aufzutauchen, würde viel zu viel Aufmerksamkeit erregen. Und die wollte und brauchte ich nicht. Jedenfalls noch nicht.

Ich liebte diesen Ort: die kalten Steine in meinem Rücken, unter mir die Heizung, die meine Füße grillte. Hier hatte ich früher jede Woche Stunden damit verbracht, mit meinem Skizzenbuch in der Hand die Welt draußen zu betrachten, und versucht, in meinen Zeichnungen jede Bewegung, jedes fallende Blatt, jedes parkende Auto einzufangen.

Ich griff in Maddys Rucksack und zog ein Heft hervor. Es war liniert, also nahm ich die einzige Blankoseite, die es gab – die letzte Seite –, und wühlte im Rucksack, bis ich einen Bleistift fand. Es war bloß ein Standard HB, aber er würde seinen Zweck erfüllen.

Ich war so versunken in meine Zeichnung, dass ich richtig zusammenzuckte, als es plötzlich klingelte. Die Tür ging auf und die wenigen Leute, die dieses Treppenhaus benutzten, liefen an mir vorbei. Ich ignorierte sie, konzentrierte mich auf das Blatt vor mir und den Hausmeister, der draußen gerade etwas in die Mülltonne warf. Wenn er nur eine halbe Sekunde stillhalten würde, dann wäre sein Gesicht kein Problem. Aber er lief die ganze Zeit umher und hob Papierschnipsel auf, die der Wind aus dem Container geweht hatte.

Es wurde wieder ruhig auf den Gängen. Meine nächste Stunde hatte begonnen – Physik, glaube ich. Grundkurs, nicht Leistungskurs. Ich könnte zwei Monate Unterricht verpassen und würde am Ende wahrscheinlich immer noch ein B bekommen. Ein Tag mehr oder weniger machte da auch keinen Unterschied. Ich hatte noch die Mittagspause, vier weitere Unterrichtsstunden und zwei Stunden Hockey vor mir – zum Glück nur von der Bank aus, ich hatte keine Ahnung von Hockey. Außerdem hatte ich eine ziemliche Ladung Hausaufgaben nachzuholen, aber ich konnte mich nicht aufraffen, meinen Platz zu verlassen.

Ich versuchte mich zusammenzureißen, mich auf willkürliche Dinge zu konzentrieren wie den kleinen Sprung in der Fensterscheibe oder die ausgeblichenen Markierungen auf dem Parkplatz unten. Es funktionierte nicht; mein Körper vibrierte vor lauter ungenutzter Energie.

Ich schloss die Augen und sah Maddys Gesicht vor mir, das mich durch die Dunkelheit anlächelte. Ich dachte an das letzte Mal, als ich sie glücklich gesehen hatte. Es war am Morgen vor dem Unfall gewesen. Ich hatte in meinem Zimmer

Download

Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.