Die Schule am Meer (German Edition) by Lüpkes Sandra

Die Schule am Meer (German Edition) by Lüpkes Sandra

Autor:Lüpkes, Sandra [Lüpkes, Sandra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2020-03-09T16:00:00+00:00


«Herr Wenniger? Hier steht eine Frau Reiner.»

Gustav schaute von den Papieren auf. Der Stapel der unerledigten Anträge war hoch. Im Rathaus wurde der Notstand verwaltet: Rationierung von Lebensmittel und Koks. Er hatte die Aufgabe übernommen, weil der Bürgermeister krank war, Oldewurtel zu blöd und der Rest der Belegschaft zu nichts nutze. Ein Haufen Arbeit, weil alle was wollten, nur wenige was kriegten und das dauernde Jammern und Klagen einem ziemlich auf die Laune schlug.

«Wer?», fragte er das Fräulein, das in seinem Türrahmen stand.

«Die Lehrerin von der Schule am Meer.» Dann, nach ein paar Sekunden, fügte sie hinzu: «Na, die Jüdin eben.»

«Was will sie?»

Das Fräulein zog die schmalen Schultern hoch. «Keine Ahnung.»

«Lass sie draußen warten.»

«Aber wir haben doch die Stühle fortgeräumt.»

«Dann wird sie stehen müssen.»

«Im Flur ist es bitterkalt.»

«Wer von hinten aus dem Loog hierhermarschiert ist, dem wird bereits warm genug sein.»

So weit kam’s noch, dass er alles stehen und liegen ließ, weil diese Person hier antanzte. Seit dem runden Tisch, den sie im letzten Jahr wegen der Sache mit den toten Kötern abgehalten hatten und der wegen eines Feuerwehreinsatzes abrupt und ohne irgendein Ergebnis beendet worden war, herrschte so etwas wie Waffenstillstand zwischen dem Rathaus und der Schule am Meer. Warum sollte Gustav sich weiter an denen aufreiben? Man munkelte, über dem Loog kreise der Pleitegeier, das Problem schien sich also über kurz oder lang von selbst zu erledigen. Gustav überflog die Listen, auf denen die größeren Hotels pflichtgemäß ihre Vorräte notiert hatten. Im Kurhaus waren noch einige Säcke Mehl gelagert, im Keller des Hotel Pabst gab es Kartoffeln, Therese hatte gegen den Willen ihres Vaters das eingemachte Pökelfleisch vermerkt. Wenn Gustav richtig gerechnet hatte, reichte es bei entsprechender Verteilung noch ein Weilchen, satt würde dabei allerdings kaum einer werden. Umso besser, dass ihm gestern eine Lösung auf dem Silberta- blett serviert worden war. Die Insulaner würden ihm schon bald zu Dank verpflichtet sein.

Nachdem der letzte Amtsstempel aufs Papier gedrückt worden war, schaute Gustav auf die Uhr. Deerk erwartete gleich seinen Anruf. Also … den offiziellen. Denn inoffiziell hatten sie bereits mehrfach telefoniert. Und eigentlich war alles längst geklärt.

Trotzdem ließ er die Bittstellerin noch ein wenig zappeln.

Es widerstrebte ihm, sich extra vom Stuhl erheben zu müssen. Also rief er nach dem Fräulein. Seine Stimme war laut genug, bis ins Vorzimmer zu dringen. Beinahe sofort tauchte ihr brünetter Schopf in der Tür auf. «Ja bitte?»

«Kannst die jetzt reinlassen.»

Das Fräulein verzog den Mund. «Sie wissen schon, dass ich eigentlich für den Bürgermeister angestellt bin und nicht für einen Gemeindediener, der nur so tut, als ob.»

«Werd nicht unverschämt!»

Sie verdrehte die Augen, widersprach aber nicht. Wenig später war die Jüdin im Zimmer. Sie schien nicht zu erwarten, dass ihr ein Stuhl angeboten würde.

«Wenn Sie gekommen sind, um irgendwelche Extraportionen für sich herauszuschlagen, brauchen wir gar nicht erst zu reden. Die Vorräte werden pro Kopf zugeteilt.»

«Es geht um das Flugzeug», sagte die Frau stattdessen.

Gustav lehnte sich in seinem Stuhl zurück. «Welches Flugzeug?», fragte er scheinheilig. Deerk hatte erwähnt, wie viel Geld rumkäme, wenn man es nur richtig anstellte.



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