Die Säulen der Erde by Ken Follett

Die Säulen der Erde by Ken Follett

Autor:Ken Follett [FOLLETT, KEN]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2015-06-11T16:00:00+00:00


Kapitel X

Am Gedenktag des heiligen Augustinus war Punkt zwölf Uhr Feierabend, und die Bauleute begrüßten das mittägliche Glockenzeichen mit einem Seufzer der Erleichterung. Gewöhnlich arbeiteten sie an sechs Wochentagen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, sodass sie die Erholungspausen, die ihnen die Heiligentage boten, gut brauchen konnten. Allein Jack war so vertieft in seine Arbeit, dass er das Läuten nicht hörte.

Die Herausforderung, harten Stein in weiche, runde Formen zu verwandeln, hatte ihn völlig in Bann geschlagen. Der Stein hatte seinen eigenen Willen und setzte sich zur Wehr, wenn Jack ihm gewaltsam zu Leibe rückte: Entweder rutschte der Meißel ab, oder der Einschnitt wurde zu tief, und das Muster misslang. Aber wenn er mit dem Klumpen Stein vor ihm erst einmal vertraut war, konnte er ihn auch verwandeln. Je schwieriger die Aufgabe, um so größer Jacks Begeisterung.

Er bekam allmählich das Gefühl, die Ornamente, die Tom von ihm verlangte, seien zu einfach. Er war der Zickzack- und Rautenmuster, der Hundszahnfriese, Spiralen und einfachen Rundstäbe überdrüssig, und selbst dieses Laubfries kam ihm ziemlich steif und eintönig vor. Am liebsten hätte er natürlich aussehendes, geschmeidiges und unregelmäßiges Blattwerk aus dem Stein geschnitten und die unterschiedlichen Formen echter Blätter von Eichen, Eschen und Birken imitiert, doch Tom ließ ihn nicht. Viel lieber noch hätte er Szenen aus der Bibel dargestellt: Adam und Eva, David und Goliath, das Jüngste Gericht – vollständig mit Dämonen und Teufeln und nackten Menschen –, aber er wagte gar nicht erst darum zu bitten.

Schließlich kam Tom und gebot ihm Einhalt. »Heute ist Feiertag, Junge«, sagte er. »Außerdem bist du noch mein Lehrling, und ich brauche dich beim Aufräumen. Sämtliche Werkzeuge müssen vor dem Essen weggeschlossen werden.«

Jack legte seinen Hammer und die Meißel beiseite und deponierte den Stein, an dem er gearbeitet hatte, sorgfältig in Toms Bauhütte; dann folgte er Tom auf seinem Rundgang über die Baustelle. Die anderen Lehrlinge räumten schon auf und fegten Steinsplitter, Sand, Klümpchen getrockneten Mörtels und Holzspäne beiseite, die überall herumlagen. Tom sammelte seine Zirkel und sein Richtscheit ein, Jack seine Maßstöcke und seine Senkschnüre, und sie brachten alles in die Bauhütte.

In der Bauhütte bewahrte Tom seine Ruten auf, lange Eisenstäbe, die im Querschnitt quadratisch waren, dazu kerzengerade und von exakt gleicher Länge; sie steckten in einem verschließbaren Holzgestell und wurden zum Ausmessen verwendet.

Während sie weiter herumstreiften und Mörtelbretter und Schaufeln einsammelten, musste Jack immerzu an die Ruten denken. »Wie lang ist so eine Rute?«, fragte er.

Die Steinmetzen, die seine Frage hörten, brachen in Gelächter aus. Es war nicht das erste Mal, dass sie Jacks Fragen komisch fanden. Edward Short, ein wahrer Winzling von Steinmetz mit ledriger Haut und schiefer Nase, meinte: »Eine Rute ist eine Rute«, und das Gelächter begann von neuem.

Es machte ihnen Spaß, die Lehrlinge aufzuziehen, vor allem, wenn sie damit beweisen konnten, wie himmelhoch sie ihnen überlegen waren. Jack hasste es, um seiner Unwissenheit willen ausgelacht zu werden, fand sich jedoch damit ab, weil seine Neugier größer war. »Das verstehe ich nicht«, gab er geduldig zurück.

»Ein Zoll ist ein Zoll, ein Fuß ist ein Fuß, und eine Rute ist eine Rute«, sagte Edward.



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