Die Rose der Welt. Roman by Peter Prange

Die Rose der Welt. Roman by Peter Prange

Autor:Peter Prange [Prange, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104032832
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2016-02-25T05:00:00+00:00


6

Mit dem Handrücken wischte Suzette sich über die Stirn, dann nahm sie die Becher aus dem Regal und stellte sie auf den Tresen, um sie mit Wein zu füllen. Obwohl es noch früher Nachmittag war, hatte sie im Roten Hahn schon alle Hände voll zu tun. Das lag nicht nur an den vielen Handwerkern und Tagelöhnern, die sich nach dem Ende der Fastenzeit wieder an den Tischen drängten, sondern mehr noch an den Studenten, die zu dieser Tageszeit sonst die Vorlesungen besuchten, heute aber in das Wirtshaus geströmt waren, um sich die Köpfe heiß zu reden. Wenn sie die Fetzen, die sie beim Bedienen aufschnappte, richtig verstand, wollten die Magister ihre Arbeit niederlegen, um den König zu zwingen, die Morde von Saint-Marcel zu sühnen. Ansonsten würden sie Paris verlassen, und viele der Studenten würden ihnen folgen.

Suzette schüttelte den Kopf. Würde das auch nur einen der Toten wieder lebendig machen?

Während der Lärm für einen Moment zu verstummen schien, sah sie plötzlich ihren Verlobten vor sich, wie er in seinem bunten Wams zwischen den Schneeglöckchen gelegen hatte. Zwei Monate war LeBœuf tot, und doch begann die Erinnerung bereits zu verblassen, so dass Suzette manchmal Mühe hatte, sich sein Gesicht vorzustellen oder sein Lachen zu hören, wenn sie nachts allein in ihrem Bett lag. Was hätte sie darum gegeben, wenn er noch leben würde. Nie hatte sie ihn so sehr vermisst wie in diesen Tagen.

»Pass doch auf!«, raunte der Wirt ihr im Vorbeigehen zu. »Der Becher läuft ja schon über!«

Erschrocken setzte sie den Krug ab und wischte mit einem Lappen die Pfütze vom Tresen.

»Wo bleibt der Wein?«, rief ein Student. »Wir verdursten!«

»Erst sind wir dran!«, protestierte ein Gerber, der mit ein paar Zunftgesellen am anderen Ende des Schankraums saß.

»Nein, wir haben vor euch bestellt!«

»Wir warten auch schon eine Ewigkeit!«, behaupteten zwei Kaufleute.

Plötzlich schienen alle Gäste gleichzeitig etwas zu wollen. Suzette wusste kaum, wo sie anfangen und aufhören sollte. Vor lauter Eile stieß sie einen bereits gefüllten Becher um.

»Jetzt reiß dich aber zusammen«, fuhr der Wirt sie an. »Was ist denn los mit dir? Seit Tagen scheinst du nur noch zu träumen.«

Suzette stieß einen Seufzer aus. Sie wusste ja, was mit ihr los war. Sie war so verzweifelt, dass sie nicht wusste, wie sie allein weiterleben sollte. Allein und ohne Liebe. Allein und ohne Mann.

Mit einem Kind im Bauch.

»Wird’s bald?«, rief der Gerber.

»Ich komme ja schon!«

Sie nahm ein Tablett, stellte so viele Becher darauf, wie sie nur tragen konnte, und eilte damit zu den Gästen. Doch sie hatte den ersten Tisch noch nicht erreicht, da ging die Tür auf, und Paul kam in den Schankraum.

»Was ist das denn für ein Gesicht, mit dem du mich empfängst?«, fragte er. »Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?«



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