Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland.: Roman (German Edition) by Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn

Autor:Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn [Fehn, Marlene Streeruwitz als Nelia]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104031835
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2014-10-14T00:00:00+00:00

Epsilon

Die Fähre rauschte ab. Ich blieb auf dem Oberdeck im Freien sitzen. Es war nicht so warm, und ich zog das alte T-Shirt von Gerhard über Despinas geblümte Baumwollbluse an. Die Luft war wunderbar frisch und klar, und das Meer lag hell und glitzernd rund um uns.

Ich hatte Sorgen gehabt, im Hafen auf die Skipper zu treffen, aber die Fähre fuhr von einer ganz anderen Stelle auf der Insel ab. Mit Despina an der Seite hätten sie auch nicht viel machen können, auch wenn sie mich entdeckt hätten. Diese zwei Männer fielen mir immer wieder ein, während ich eigentlich an Marios denken wollte. Ich wollte besonders intensiv an ihn und an uns denken, um das elende Gefühl im Bauch wegzubekommen. Das war wie Prüfungsangst, und ich wollte keine dunklen Ahnungen herumtragen.

Marios hatte sich noch immer nicht gemeldet, aber er war mir sehr nah. Das kam von dem vielen Erzählen über ihn beim Frühstück und weil die Frauen da zugehört hatten. Jetzt, auf der Fähre, war alles wieder weit weg und undurchsichtig, und ich hätte diese kleine Fähre anschieben mögen, um so schnell wie möglich zur großen Fähre von Santorini nach Athen zu kommen, damit wenigstens kein Meer mehr zwischen uns war.

Marios hatte natürlich viele gute Gründe, nicht erreichbar zu sein. Marios konnte nach der Demonstration untergetaucht sein. Die Demonstranten wurden ja gefilmt, und während die Polizei mit ihren Visieren und der body armour vollkommen anonymisiert sind, können die Demonstranten über ihr Bild ausfindig gemacht werden. Das ist überall so. Die Demonstranten banden sich die Schals über Mund und Nase, aber es blieben genug Indizien, jemanden zu identifizieren. Ich wäre an meinem weiß und blau gemusterten Schal erkennbar gewesen. Anarchisten trügen keine Uniformen, hatte Marios gesagt, als ich einen Einheitsschal vorgeschlagen hatte, und das ist ja richtig. Die Welt würde in diesen erbsigen Einheitsfarben versinken, wenn alle sich gleich in den gleichen Situationen anzögen. Jedenfalls würde dann offenkundig, wie sehr wir alle Soldaten sind. Trotzdem hat sich bei den Demonstranten in Athen durchgesetzt, eine Atemmaske aus dem Baumarkt aufzusetzen.

Marios konnte eine Zeitlang zu einem seiner Freunde gegangen sein, um seine Eltern nicht zu belasten und sich in Ruhe zu erholen. Wenn man in die vorderen Reihen bei einer Demo gerät, dann kann einen so ein Schlagstock schnell erwischen. Die Polizisten gehen auf die Demonstranten zu, halten ihre Plexiglasschilder hoch und dreschen auf die Menschen vor sich ein. Durch das Plexiglas können die sehen, was sie tun, und weit hinter den Polizeilinien steht ein Kranwagen mit so einem Korb oben. Von da oben aus wird alles auf Video aufgenommen und in den Prozessen gegen die Demonstranten verwendet. Diese Art der Dokumentation wäre das Endergebnis aus dem Christlich-Orthodoxen, sagte Mario. Der Gott, der alles sieht und hört und alles weiß. Dieser Gott ist der geheime Präsident der Geheimpolizei und verfolgt die kleinste Abweichung. Marios sagte, dass es auf beiden Seiten Stars gäbe, Demonstrationsgladiatoren und Polizeihelden und tiefe persönliche Feindschaften. Die Polizei spekuliere in langen Sitzungen darüber, wer da gegen sie auftreten und wer

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