Die Prophetin vom Rhein by Brigitte Riebe

Die Prophetin vom Rhein by Brigitte Riebe

Autor:Brigitte Riebe
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Diana Verlag
veröffentlicht: 2010-04-18T16:00:00+00:00


Sechs

RUPERTSBERG - WINTER 1157

»Das silberne Räderwappen des Erzbischofs - er kommt zu uns, auf den Rupertsberg!« Schwester Lucillas helle Stimme überschlug sich beinahe, und ihre runden Wangen brannten vor Aufregung.

»Du hast sein Wappen erkannt?« Hedwig ließ die Feder sinken. Lucilla konnte so scharf sehen wie ein Falke. Aber sie besaß auch eine ausgesprochen lebhafte Fantasie, das hatte die junge Nonne schon mehrmals zu den unpassendsten Gelegenheiten unter Beweis gestellt. Deshalb hatte Hedwig als Leiterin des Scriptoriums sich angewöhnt, lieber einmal zu viel nachzufragen, als vorschnell etwas zu bejubeln, was sich kurz darauf doch als Irrtum herausstellen würde.

Die junge Frau hatte nur Augen für die Magistra, die bislang stumm geblieben war. Lucilla schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr schwerer Schleier nach allen Seiten flog.

»Nicht ich«, stieß sie hervor, »sondern Donata! Begleitet von einer Handvoll Reiter, hat sie gesagt und mich sofort zu dir geschickt, hochwürdige Mutter.«

»Dann wird es also endlich wahr«, sagte Hildegard leise. Eigentlich hätte sie jetzt freudig auf diesen unerwarteten Besuch reagieren sollen, auf den sie so lange vergeblich gehofft hatte, doch in ihr blieb alles ruhig und kühl. Für eine anständige Gefolgschaft erscheint ihm der Anlass offenbar zu gering, dachte sie. Außerdem hätte ein geistlicher Hirte von edlem Geblüt sich beizeiten in aller Form angekündigt, erst recht nach dem, was zwischen ihm und mir vorgefallen ist. Es sei denn, er hat womöglich im Sinn, uns bei etwas zu ertappen, das wiederum in Pläne passt, von denen wir nichts wissen - lauter Gedanken, die ihr ganz und gar nicht gefielen.

Bruder Volmar musterte sie besorgt.

»Du arbeitest zu viel«, sagte er. »Seit du wieder mit Visionen beschenkt wirst, gönnst du dir kaum noch Schlaf. Wenn du nicht bald einsiehst, dass es nötig ist, mit den Kräften hauszuhalten, besonders, wenn man älter wird, und sich vor allem zwischendrin auszuruhen, wirst du …«

»Ausruhen? Das kann ich, wenn ich tot bin.« Abrupt hatte die Magistra sich erhoben und war flink wie ein Mädchen schon halb aus der Tür. »Aber bis dahin hat das Lebendige Licht offenbar noch einiges mit mir vor. Worauf wartet ihr? Steht endlich auf und lasst ihn uns anständig in unserem Kloster begrüßen!«

Doch zur Überraschung aller schwang sich nicht die hagere Gestalt Arnolds von einem tänzelnden Rappen, sondern Kanonikus Dudo, in einen weiten, üppig mit Rauchwerk gefütterten Umhang gehüllt, für den sich auch ein Fürst hätte nicht schämen müssen. Seine Begleiter saßen ebenfalls ab, der schlichten Aufmachung nach jüngere Domkanoniker, von denen Hildegard allerdings keinen einzigen kannte.

Hugo, ihr Bruder, befand sich nicht darunter.

Die Enttäuschung darüber schien ihr unübersehbar ins Gesicht geschrieben, denn Dudo kam ihr schnellen Schritts entgegen, ohne sich um den pulverfeinen Schnee zu scheren, den ein eisiger Ostwind ihm entgegentrieb. Seit dem Jahreswechsel hatte der Frost sich tief in den Boden gebissen und die Erde wie mit einem Panzer aus unsichtbarem Eis versiegelt.

»Ich soll Euch herzlich von ihm grüßen«, rief er beschwichtigend und breitete dabei die Arme weit aus, als habe er vor, sie zu segnen oder gar zu umarmen.

Hildegard wich zurück, so ruckartig, dass sie beinahe auf dem glatten Untergrund ausgerutscht und der Länge nach hingeschlagen wäre.



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