Die Pforte des Lichts by Julian Sanchez

Die Pforte des Lichts by Julian Sanchez

Autor:Julian Sanchez [Sanchez, Julian]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-10-05T16:00:00+00:00


12

Auf dem Heimweg überholte Enrique eine ganze Anzahl Autos, deren jugendliche Lenker mehr auf die Reize der neben ihnen sitzenden Frauen zu achten schienen als auf das Schauspiel, das der Sonnenuntergang bot. Leichte Trauer hatte sich seiner bemächtigt, und er wusste nicht recht, was er mit sich anfangen sollte. Mariola war nicht bei ihm, und Arturs Haus schien ihm nicht der richtige Ort, sich seinen Gefühlen hinzugeben. Doch genau genommen handelte es sich weniger um Gefühle als um Gespenster, ja, um nichts als Gespenster. Zum ersten Mal im Leben begriff er, was es mit dem in der Literatur bis zum Überdruss praktizierten Rückgriff auf Gespenster aus der Vergangenheit auf sich hatte. Ihm ging auf, dass es sie tatsächlich gibt; sie lauern uns auf, jederzeit bereit, uns an das unausweichliche Elend zu erinnern, das Bestandteil unseres Lebens ist, des vergangenen wie des künftigen. Wem sie sich zeigen, der muss wissen, wie er sich ihrer entledigt, sofern er eine Zukunft haben will.

In Vallvidrera angekommen, stellte er den Wagen vor dem Haus ab. Es stand an einem der Hänge des Tibidabo, dessen Geschichte er als ehemaliger Schüler der Salesianer auf das Genaueste kannte. Ursprünglich hatte sich der ganze Berg im Besitz einer Familie befunden, bis ihn deren letzte Nachfahrin, Dorotea de Chopitea, anlässlich des Besuchs Don Boscos in Barcelona den Salesianern vermacht hatte. Diese hatten immer größere Parzellen davon verkauft, bis ihnen kaum mehr als der Gipfel gehörte. Auf ihm errichteten sie eine Sühnekirche, von der aus man einen herrlichen Blick auf die ganze Umgebung hatte. Die Bebauung der Berghänge ließ nicht lange auf sich warten, denn Barcelonas Großbürgertum brannte förmlich darauf, das Geld auszugeben, in dessen Besitz es durch den Schweiß Tausender von Arbeitern gelangt war.

Nach wie vor im Wagen sitzend blickte Enrique zum Haus hinüber. Da dort Licht brannte, musste Bety bereits zurückgekehrt sein. Den Blick nach wie vor auf das Haus gerichtet, musste Enrique daran denken, wie teuer dessen Bau wie auch der Erwerb des Grundstücks gewesen war und dass Artur diese Beträge wohl nur dank seines ungesetzlichen Tuns hatte aufbringen können. Ohne etwas von dieser schrecklichen Wirklichkeit zu ahnen, hatte er dort seine glückliche Jugend verbracht.

Ohne Arturs Liebe und Fürsorge hätte er nie Schriftsteller werden können. Nicht nur hatte Artur, wie zuvor Enriques Eltern, jederzeit dafür gesorgt, dass er sich geliebt fühlte, nie hungern oder frieren musste und stets alles hatte, was er brauchte. Außerdem hatte er ihn ermutigt, ihn in den Anfängen seines Berufslebens finanziell gefördert, ihn beraten und seine ersten Versuche auf dem Gebiet der Literatur korrigiert, war sein erster Leser und Kritiker gewesen. Durfte er, der alles, was er war und besaß, seinem Adoptivvater verdankte, den Stab über ihn brechen, weil er sich an den Schätzen einer Kirche bereichert hatte, die in beständiger wirtschaftlicher Krise lebte? Mariola hatte Recht: Niemand hat das Recht, andere zu kritisieren, denn wir alle sind durch unsere Fehler und Irrtümer brüderlich vereint.

Von diesen Gedanken ein wenig getröstet, stieg er aus. Er hielt sich jetzt für stark genug, Bety die Erklärungen abzugeben, die sie mit Sicherheit erwartete.



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