Die pazifische Epoche by Thomas Seifert

Die pazifische Epoche by Thomas Seifert

Autor:Thomas Seifert [Seifert, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2015-05-11T16:00:00+00:00


Die Krise des Parteienstaats und Postdemokratie

Wir haben heute eine globale Oberschicht, die alle wichtigen Wirtschaftsentscheidungen in völliger Unabhängigkeit von den Parlamenten und erst recht dem Wählerwillen eines jeden Landes trifft.

Richard Rorty52

Die Krise des Kapitalismus verschärfte die bereits seit längerem schwelende Krise der Demokratie. Nach der Depression in den dreißiger Jahren steckten die Bürger ihr Vertrauen in ihre Regierungen, schließlich hatten die Märkte sie bitter enttäuscht: ob nun im »New-Deal«-Amerika von Franklin D. Roosevelt, in Josef Stalins Sowjetunion oder Adolf Hitlers Deutschland. »Während der Stagflation der 1970er Jahre haben wir die entgegengesetzte Strömung wahrgenommen. Die Menschen haben das Vertrauen in den Staat verloren, dafür aber das Vertrauen in die Märkte wiedergewonnen. […] Aber im Gefolge dieser Krise ist sowohl das Vertrauen in die Märkte als auch das Vertrauen in die Regierungen dahin«, schreibt Ivan Krastev, der in Bulgarien geborene Vorsitzende des Centre for Liberal Strategies in Sofia und Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien.53 Mit der Rettung des Kapitalismus vor sich selbst zog die Politik sich den Zorn der Bürger zu. Vor allem die Demokratien in der Eurozone kamen an ihre Grenzen. Die Eurokrise wurde zu einer Krise des demokratischen Kapitalismus, in dem die Regierungen mit den widersprüchlichen Forderungen ihrer Bürger und ihrer Gläubiger konfrontiert waren: Einerseits stiegen die Staatsschulden auf ein untragbares Niveau, gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit auf ein ebenso untragbares Niveau. »Straßenproteste und Aufstände sind die letzten verbleibenden Mittel des politischen Protestes für jene, die über keine Markt-Macht verfügen.«54 Zwei Regime der Ressourcen-Allokation liegen miteinander im Clinch: Das eine basiert auf der marginalen Produktivität und wird vom Markt determiniert, das zweite basiert auf Ansprüchen und wird von der demokratischen Politik bestimmt. Das eine dominiert über das andere, bis es eine Reaktion gibt, und eine solche Reaktion ist, wenn sich die Demokratie gegen den Markt richtet.55

Die Diskussion über die Krise der Demokratie ist freilich nicht neu: »The Crisis of Democracy« war der Titel des 1975 veröffentlichten »Berichts über die Regierbarkeit von Demokratien an die Trilaterale Kommission«. Die Trilaterale Kommission wurde 1973 auf Anregung von David Rockefeller bei einer Bilderberg-Konferenz gegründet und ist ein privater, höchst elitärer Zirkel, der aus rund 400 einflussreichen Mitgliedern aus den drei großen Wirtschaftsblöcken Europa, Japan und Nordamerika und einigen handverlesenen Mitgliedern aus anderen Wirtschaftsregionen besteht. Sie steht nicht in Verdacht, besonders progressiv zu sein: In der innerhalb der Europa-Fraktion recht starken German Group, die mit rund zwanzig Mitgliedern rund ein Sechstel der europäischen Vertreter stellt, findet sich bis heute zum Beispiel keine einzige Frau. Kein Wunder, dass die für die Trilaterale Kommission forschenden Sozialwissenschaftler 1975 eine »Zerrüttung der bürgerlichen Ordnung«, einen »Zerfall der gesellschaftlichen Umgangsformen«, eine »Schwäche des Führungspersonals« und eine »Entfremdung der Bürger« orteten. Verfasst hatte den Bericht nämlich eine Gruppe prominenter konservativer Sozialwissenschaftler. Sie sahen eine »düstere Zukunft für die demokratische Regierungsform« herandräuen und erkannten Anzeichen einer »Überlastung« der Regierungen durch gesellschaftliche Forderungen.

Der »Demokratisierungsschub«, der seit den späten sechziger Jahren durch die Gesellschaften der westlichen Länder flutete, würde dazu führen, dass die Bürger, die zu viel von den



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