Briefe, die ihn nicht erreichten by Heyking Elisabeth von

Briefe, die ihn nicht erreichten by Heyking Elisabeth von

Autor:Heyking, Elisabeth von
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-02T16:00:00+00:00


28

Berlin. Mai 1900.

Die Zeit meines Bruders ist kurz bemessen. In einer Woche muss er nach New York zurück. Jetzt ist er auf ein paar Tage zu seinem Chef gereist. Ich warte hier in Berlin auf ihn, und dann werden wir uns zusammen einschiffen denn natürlich gehe ich wieder mit ihm – wir gehören ja seit soviel Jahren nun schon zusammen und sind uns gegenseitig ein Stück Heimat. Sie, lieber Freund, werden das gewiss verstehen. Hier sagen mir freilich viele Bekannte, ich solle doch nun in Berlin bleiben und mir ein Heim gründen – als ob dazu nur gehörte, eine Wohnung zu mieten und Dienstboten zu engagieren. Manch einer näselt dann auch wohl: »Wäre gerade, was in Berlin fehlt, Haus einer unabhängigen Frau, geistiges Milieu, neutraler Grund, könnte politisch von Bedeutung werden.«

Welch einsames, kleines Heim würde das sein, und wie gleichgültig lässt mich das »geistige Milieu«! Für wen? Für wen? – Mir ist es ganz einerlei, ob mal bei meinem Begräbnis ein paar »politisch bedeutende« Leute sagen: »Wieder ein angenehmes Haus weniger – gab doch famose Diners, die Frau « und dann auf die Uhr schauen und wo anders essen gehen!

Ja, wenn man jung wäre und die Schwungkraft besässe, die der Glaube an die Wichtigkeit der Dinge stets verleiht! Aber ich bin müde – nur immer müde.

Und soziale Ambitionen! – ach, Du lieber Gott!

Wäre mein Bruder nicht bei mir, ich käme mir ganz verloren vor, denn in Berlin fühle ich mich so fremd – fremder beinahe als in Amerika oder China!

Ich hatte mir immer den Glauben bewahrt, dass es, wenn ich mal wieder nach Deutschland käme, gar nicht anders sein könne, als dass mich gleich ein wonniges Heimatsgefühl umfange – und nun ist alles so ganz anders, als ich es mir in der Ferne dachte! Es ist ja immer alles im Leben anders, als man es sich dachte – aber nie schöner!

Seit ich in Deutschland bin, warte ich beständig auf das Erwachen meines Heimatsgefühls – aber es bleibt immer noch aus. Ich hatte viel Hoffnungen auf den Anblick des Brandenburger Tores gesetzt. Aber vergeblich. Dass die Allee mit den Kurfürsten und sonstigen grossen Männern es nicht weckte, ist nicht zu verwundern, denn die war mir gänzlich neu. Hat mir nur bewiesen, dass mich als Kind ein richtiger Instinkt leitete, wenn ich mich gegen Geschichtsunterricht wehrte – die Ansichten und Urteile sind ja offenbar noch immer gar nicht feststehend.

Hier im Hotel Buckingham, Unter den Linden, wo wir wohnen, weil es Amerikaner meinem Bruder empfohlen haben, werde ich sicher auch nicht zum Bewusstsein einer Heimat gelangen.

Mit meinem fortwährenden Suchen nach Heimatsgefühl komme ich mir halb rührend, halb komisch vor, etwa so, wie der im heiligen Lande nach seinem verlorenen Glauben suchende Pierre Loti. Aber fürchten Sie nichts, lieber Freund, ich will Ihnen nicht wie er ein ganzes Buch darüber schreiben! Ich bin nämlich viel schneller als Loti zu einer Erklärung der Vergeblichkeit unseres Suchens gekommen. Ich fürchte, er wie ich sind zu lange fortgeblieben, er von den Stätten des Glaubens, ich von denen der Jugend – für Glauben und für Heimat gibt es vielleicht auch ein »zu spät«.



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