Die neuen Bekenntnisse by Boyd William

Die neuen Bekenntnisse by Boyd William

Autor:Boyd, William
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2011-12-09T05:00:00+00:00


Die Bekenntnisse: Teil 1

Mit den Aufnahmen zu den Bekenntnissen: Teil I begannen wir im Juni 1927, einen Monat später als geplant. Teil I sollte das Leben Rousseaus von seiner Geburt im Jahre 1712 bis zum Jahr 1739 umfassen, als er sich, widerstrebend und schweren Herzens, entschließt, seine inniggeliebte ›Maman‹, die seine Geliebte und Wohltäterin ist, mit seinem Nebenbuhler, dem verabscheuenswerten Vintzenried, zurückzulassen und sein Glück anderswo zu suchen. Teil II sollte seinen Aufstieg zum Ruhm behandeln und mit dem Skandal des Emile und der Flucht in die Schweiz enden. Teil III sollte – ich gebe zu, daß ich mir darüber kaum Gedanken gemacht hatte – seine letzten Jahre behandeln: das kühle Exil in England, den bitteren Streit mit Hume, die Rückkehr nach Paris und das friedliche Botanisieren seiner letzten Jahre. So sah in groben Umrissen der von mir entworfene Gesamtplan aus. Teil I war so weit, daß wir mit den Aufnahmen beginnen konnten, Teil II war zum größten Teil als Entwurf fertig, und Teil III würde sich, dessen war ich sicher, fast von selbst schreiben, wenn wir in drei Jahren soweit sein würden. Ich fühlte mich berauscht, voller Kraft und Enthusiasmus, vor Antritt eines großen Abenteuers.

Was Doon und mich betrifft, so passierte in jener Nacht nach der Versammlung überhaupt nichts. Wir tranken unseren Kaffee und Kirsch aus, und ich begleitete sie nach Hause. An ihrer Wohnungstür durfte ich sie auf die Wange küssen. »Ich glaube, die Rolle der Madame de Warens wird dir gefallen«, sagte ich. »Ich hoffe es«, sagte sie aufrichtig.

Nichts konnte mich nach dieser Versammlung dazu bewegen, direkt nach Hause zu gehen. Ich begab mich zunächst zur Stralauer Allee, um Karl-Heinz zu überreden, gegenüber Sonia meine Ausrede zu bestätigen, aber Georgs Wohnung war dunkel. Aus irgendeinem Grund fuhr ich dann zum Tiergarten und ging hinein, um – wohl aus Aberglauben – die Rousseau-Insel anzustarren, eine kleine, mit Bäumen bestandene Insel inmitten eines der zahlreichen Seen, die über den riesigen Park verstreut lagen. Karl-Heinz hatte mir von diesem Insel-Denkmal erzählt. Ich hatte es ein- oder zweimal aufgesucht, mehr aus Pflichtgefühl als aus Begeisterung. Auch an diesem Abend hatte es nichts sonderlich Begeisterndes. Die Bäume waren kahl, und durch die Dunkelheit schimmerten vereinzelte Schneereste, wie Blätter einer Zeitung, die der Wind verweht hatte. Ich sah, wie mein Atem in der kalten Luft Wolken bildete, die sich anschließend auflösten, und versuchte, ernsthaft an die Arbeit zu denken, die in den nächsten Jahren vor mir lag, doch meine Gedanken kehrten unausweichlich zu Doon zurück … An das warme Gewicht ihrer Hand in meiner Armbeuge. An den Schnurrbart aus Schlagsahne, der sich auf ihrer Oberlippe bildete, als sie ihren Kaffee mit Kirsch trank. Daran, wie schnell die feuchte Spitze ihrer Zunge ihn abgewischt hatte. Würde sie die Madame de Warens spielen? … Wegen der Entzweiung, zu der es nach Julie zwischen uns gekommen war, hatte ich nicht daran gedacht, daß sie diese Rolle spielen könnte, aber jetzt wunderte ich mich, warum ich solange gebraucht hatte, um diese Möglichkeit zu erkennen. Sie würde zwar nur in Teil I vorkommen, aber auch das würde bedeuten, daß wir monatelang einander nahe waren.



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