Die nackte Wahrheit by Hans Blumenberg

Die nackte Wahrheit by Hans Blumenberg

Autor:Hans Blumenberg
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Freud, Nietzsche, Philosophiegeschichte
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2019-02-26T16:00:00+00:00


115XIX

Theodor Fontane

Wenn von den Verhüllungen die Rede ist, mit denen die Redekunst die Wahrheit sowohl dem gegen sie wachsamen Blick entzieht als auch dem ästhetischen Widerstreben annehmlich macht, wird leicht übersehen, daß da auch von der Metapher als einem der wichtigsten Instrumente der Rhetorik die Rede ist, folglich gerade diese Metaphorik von Nacktheit und Verkleidung notwendig auch von sich selbst, von der metaphorischen Funktion, Zeugnis gibt. So muß auch die Kritik an der Metapher mit Vorzug in dieser Metaphorik geübt, die verfehlte Angemessenheit in ihr zum Ausdruck gebracht werden können.

Der Theaterkritiker Fontane beanstandet nach einer Aufführung der »Karlsschüler« von Heinrich Laube am 19. Februar 1881 dessen Nachahmung der Bildersprache Shakespeares. Sei doch diese selbst bei ihrem Meister nur unter dem Deckmantel des großen Namens hinzunehmen. Aber dem Philister, hier wie sonst der Adressat der zeitüblichen Beschimpfungen intellektueller wie kultureller Insuffizienz, gilt gerade jener Bilder-Wust als Inbegriff der ›schönen Sprache‹, während sie dem ›Eingeweihten‹ als Schrecken aller Schrecken erscheine. Nur wenige hätten die große Gabe einer wirklichen Bildersprache, die den Gedanken leuchten lasse, statt ihn zu verdunkeln. Fontane nennt Hebbel und Grillparzer.

Die Forderung, die Bildsprachlichkeit zu erfüllen habe, läßt sich selbst nur mit ihren Mitteln aussprechen und an die Grenze des unerfüllbaren Paradoxes vorantreiben: Es muß der Gedanke gleich im Bilde geboren werden, dann kann das Bild schöner und frappanter sein als das einfache Wort; wird das Bild aber erst als Extrakleid genäht und dann angezogen, so sitzt es nicht und ist eine Last, aber kein Schmuck.[1] Führt man die Imagination zu Ende, so wird unvermeidlich, die Geburt des Gedankens im Bilde als die Reduktion des Kleides auf die Haut des eben Geborenen zu sehen. Die vollkommene Verhüllung ist die Nacktheit selbst.

Dem Bedenken der Formel Fontanes geht alsbald auf, daß sie 116an das Grundproblem nicht nur der Rhetorik, sondern der Sprache rührt. Alle Kritik der natürlichen Sprachen, die mit dem Gedanken an eine allen Anforderungen auf Klarheit genügende Kunstsprache umgeht, sieht schon die historisch gewordenen Sprachen – und nicht erst deren kunstvolle Zurichtung auf höhere Zwecke – als Verhüllungen der Sache und Irreführungen des Verstandes, der sich, als philosophischer, davon zu befreien habe. Dann wäre Metaphorik nichts anderes als die Steigerung derjenigen Mittel der Sprache, die ohnehin und ohne Zutun ›verführerisch‹ sind. Philosophie wäre wesentlich Sprachkritik und hätte sich als solche nicht erst auf die sekundären Übertreibungen der Rhetorik zu werfen. Wäre im Gegenteil die Sprache das Unhintergehbare selbst, durch welches sich allein die Welt dem Menschen darbietet und genuin erfassen läßt, wäre sie ebenjene Einheit von Kleid und Haut, in der jeder Gedanke geboren sein muß, der Wahrheit und Wirkung soll verbinden können. Dann wiederum wäre Rhetorik möglich als die Kunst, den natürlichen Bildbestand der Sprache auszuschöpfen und in ihm verweilen zu lassen. Es gibt keine Rhetorik ohne Fundierung auf den Implikationen der Auffassung von der Sprache selbst.



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