Die letzte Instanz by Elisabeth Herrmann

Die letzte Instanz by Elisabeth Herrmann

Autor:Elisabeth Herrmann
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Kriminalroman
ISBN: 9783548920122
Herausgeber: List Verlag
veröffentlicht: 2009-12-31T23:00:00+00:00


5.

Samstag, 21. März, 00.45 Uhr. Potsdamer Platz, Sony Center. Ende der Spätvorstellung im Filmmuseum.

Die Straße belebte sich um diese Stunde noch ein letztes Mal. Wie eine freigelassene Herde strömten sie aus den engen Straßenschluchten hinaus auf die weite, leere Kreuzung, zielstrebig die einen, verloren und abwartend die anderen, hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, die letzte U-Bahn zu nehmen oder doch noch in einer dieser mittelmäßigen, austauschbaren Bars einzukehren, die man überall finden konnte – im Flughafen von Tokio, im Bauch des Louvre, in der Fußgängerzone von Oldenburg, so zum Verwechseln ähnlich waren die auf alt getrimmten Schwarzweißfotos an den Wänden, so langweilig die Bloody Marys, so gleich das späte Desinteresse der Barkeeper hinter den leicht zu reinigenden Tresen.

Die Frau blieb einen Moment vor der spiegelnden Tür stehen und warf einen Blick in den halbleeren Raum. Billy Wilders. Eine Hommage an den großen Berliner Regisseur sollte diese Bar sein, und war im Mittelmaß stecken geblieben wie der ganze Platz mit seinen gesichtslosen Shopping Passagen, der oberflächlichen Eleganz seiner Hotels, den Schnellrestaurantketten und Donut-Abfertigungs-Stationen. Keine irritierende Kühnheit, keine scharfen Spitzen, an denen sich der Durchschnitt verletzen konnte, denn für den Durchschnitt in seiner großen Masse war dieser Platz gebaut worden, funktionieren sollte er, Geld machen sollte er, Umsatz und Gewinn, und genau das brachte nur die Masse, nicht das Individuum.

Sie überlegte es sich anders, wandte sich ab und ging zu seinem Taxi.

Er stand als Dritter in der Reihe, deshalb wunderte er sich, dass sie ausgerechnet seinen Wagen wählte. Er hatte sie beobachtet, seit seine Pause um war und er sich wie jede Nacht um diese Uhrzeit in die Schlange gestellt hatte. So, wie er immer die Passanten im Auge hatte, während er unkonzentriert die Schlagzeilen der ersten, druckfrischen Zeitung überflog. Sie war mit einer Gruppe Jugendlicher aus dem Sony Center auf die Potsdamer Straße gekommen. Er fragte sich, welchen Film sie wohl angesehen hatte, denn sie passte nicht zu den kichernden, angetrunkenen Vorstadtkindern, die nun die Bushaltestelle in Besitz nahmen wie ein Schwarm aufgestachelter Hornissen. Sie hätte auch aus der Skulpturensammlung kommen können. Oder der Amerika-Gedenk-Bibliothek. Der Philharmonie, der Neuen Nationalgalerie, wenn es nicht schon so spät wäre.

Sie blieb neben seinem Wagenfenster stehen und zündete sich eine Zigarette an. Eine Raucherin. Das hätte er nicht gedacht. Er ließ die Scheibe herunterfahren.

»Ich will nach Karow Nord«, sagte sie. »Darf ich die mit reinnehmen?«

Er zuckte mit den Schultern. Nach Karow Nord brauchte er um diese Uhrzeit höchstens eine halbe Stunde. Eine Dreißig-Euro-Fahrt ließ man nicht wegen einer Zigarette sausen.

Sie umrundete den Wagen und öffnete die hintere Tür. Während sie sich setzte, schaltete er das Taxameter ein und gurtete sich an.

»Wohin genau?«

»Das sage ich dann schon. Es ist ziemlich weit draußen.«

Durch den Zigarettenrauch nahm er ihr Parfum wahr. Ein warmer, schwerer Duft, etwas für feierliche Anlässe und Opernabende. Nicht unbedingt das, was man für einen Spätfilm im Cinemaxx trug.

»Sie waren im Kino?«

Sie nickte. Er setzte den Blinker und warf einen Blick in den Rückspiegel.

»Was haben Sie sich angesehen?«

»Einen alten Hitchcock. Das Filmmuseum zeigt eine Retrospektive.



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