Die letzte Flut by Timothy Findley

Die letzte Flut by Timothy Findley

Autor:Timothy Findley
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2010-12-07T23:00:00+00:00


Seit dem Beginn des Regens hatte Mrs Noyes keinen Tropfen Gin mehr gekostet – Noah hatte jeden einzelnen Krug, den sie besaß, zertrümmert oder, genauer, Japeth mit dem Zertrümmern beauftragt. Zumindest – jeden einzelnen Krug, den sie finden konnten.

Diese drei waren ihnen entgangen.

Halleluja!

Und da Mrs Noyes seit dem Beginn des Regens keinen Gin mehr gekostet hatte, war sie seit Jahwes Besuch auch nicht angeheitert oder gar betrunken gewesen.

»Oh, Lotte…« Sie sang es fast, wie eine Totenklage. »Wenn du all das nur gesehen hättest, als es noch lebendig und himmlisch schön war. Die Veranda – die Aussicht, die sie bot –, meine Katze… den Hof, ohne die Toten… der Blick über die Rasenflächen… den Berg – das Wunder der im Nebel schwebenden Bäume. Die vielen Lemuren, wenn sie die Sonne anschrien, und die Vögel im Flug – oh – Lotte! Wenn du doch jene Welt nur hättest sehen können! Sie sah so – sie duftete so – sie war so kühl. Eine halbe Stunde – eine ganze Stunde, jeden Tag –, man musste nicht schlafen, um träumen zu können. Alles war da draußen – so echt wie du und ich. Wunderbar! Hier draußen habe ich gesungen. Ich und Mottyl. Jeden Abend haben wir gesungen, jede Nacht… und manchmal ging ich dort hinein – zurück ins Wohnzimmer – dann spielte ich und spielte. Und sang. Oh – ich machte sie alle verrückt!«

Sie lachte.

»Aufhören! Aufhören! Aufhören! Haben sie dann geschrien. Hör mit dem Katzenjammer auf! Hast du kein Erbarmen? HÖR AUF! Aber ich hörte nicht auf. Niemals, niemals! Ich wurde nur leiser – und sang weiter. Weitersingen – darauf kommt es an.« Mrs Noyes nahm einen langen, kräftigen Schluck und genoss das lange, heftige Brennen, das er auslöste – im Mund – im Hals – in der Brust – im Magen… Mehr. Mehr.

Sie betrachtete das Kind, das in ihrem Schaukelstuhl schlief.

»Ich möchte wetten, dass du niemals ein Klavier gehört hast. Vielleicht hast du nicht einmal jemand singen hören. Hast du? Hast du? Horch… Ich weiß was. Ich werde dir jetzt das erste und das letzte Lied, das du jemals hörst, vorspielen. Warte einen Moment! Warte…«

Mrs Noyes, die jetzt sehr angeheitert war, drängte durch die Tür ins Wohnzimmer, und zündete eine Lampe an. Ihre Ginkrüge neben sich aufgereiht – setzte sie sich auf die Klavierbank, auf der Mottyl früher neben ihr gesessen hatte – und nahm einen mächtigen Zug Gin, der sie prusten und husten ließ. Dann fing sie an zu spielen.

Sie spielte »Das Rätsellied« und sie spielte »In einem kühlen Grunde«. Sie spielte »Mariechen saß weinend im Garten«, »Die Lorelei« und »Es flog ein kleines Waldvöglein«. Sie spielte »Es ist ein Schnee gefallen« und »Kein schöner Land in dieser Zeit«, »Der Winter ist vergangen, ich seh des Maien Schein«, »Es waren zwei Königskinder«, »Der Mond ist aufgegangen«, »All mein Gedanken, die ich hob«, »Wahre Freundschaft soll nicht wanken«, »Wir hatten gebauet ein stattliches Haus«, »Sah ein Knab ein Röslein stehn« und »Es blies ein Jäger wohl in sein Horn«. Immer weiter spielte sie…



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