Die Katze des Dalai Lama: Roman (German Edition) by David Michie

Die Katze des Dalai Lama: Roman (German Edition) by David Michie

Autor:David Michie [Michie, David]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Lotos
veröffentlicht: 2014-05-25T17:00:00+00:00


So verbrachte ich die nächsten drei Tage. Ich schlief, so lange ich konnte, und verließ meine Zuflucht nur, wenn sich gewisse Bedürfnisse partout nicht länger ignorieren ließen. Anschließend rollte ich mich wieder zu einer unglücklichen Fellkugel zusammen.

Chogyal war die meiste Zeit bei der Arbeit. Und Lasya verlor bald das Interesse daran, mit einer Katze zu spielen, die keine Reaktion zeigte. Ihre Besuche wurden immer unregelmäßiger und kürzer. Allmählich gewöhnte ich mich an die Alltagsgeräusche der Nachbarsfamilien und die Gerüche ihrer Mahlzeiten. Nach drei im Halbschlaf verbrachten Tagen gelangte ich zu der Erkenntnis: Mir war langweilig.

Als Lasya am späten Nachmittag des vierten Tages erschien, kroch ich unter der Decke hervor und sprang auf den Boden, wo wir mehr aus Zufall ein lustiges Spiel erfanden. Wie ich an ihrem rechten Fuß vorbeistrich, rutschte ihr großer Zeh in mein linkes Ohr, während die anderen außen vor blieben. Sie wackelte mit dem Zeh und verpasste mir damit eine höchst erquickliche Ohrenmassage. Unwillkürlich schnurrte ich dankbar. Weder der Dalai Lama noch einer seiner Bediensteten hatten jemals ihren großen Zeh in mein Ohr gesteckt, obwohl es eine – wie ich nun herausfand – durchaus angenehme Empfindung darstellte. Dem linken Ohr folgte das rechte, und als ich in Lasyas kicherndes Gesicht blickte, verstand ich plötzlich, dass mein Glück nicht von einer bestimmten Umgebung abhängig war.

Ich schlich zur Tür und in den Flur. Gefolgt von Lasya erkundete ich vorsichtig das Gebäude. In der Wohnung nebenan saßen eine Frau und drei Kinder auf dem Boden. Sie rührte in einem Topf auf einer einzelnen Herdplatte und sang dabei leise ein Kinderlied. Ich hatte bereits in den vergangenen drei Tagen ihren Gesang gehört und ihr Essen gerochen und war gespannt, sie nun von Angesicht zu Angesicht zu sehen: Es waren nicht die kreischenden Dämonen aus meiner Vorstellung, sondern ganz gewöhnliche Menschen.

Als ich in der Tür erschien, hielten sie in ihrem Treiben inne und starrten mich an. Zweifellos hatte sich die Kunde von meiner Anwesenheit bereits über den Flur verbreitet. Ob sie starr vor Ehrfurcht waren, weil sie sich in der Gegenwart der Katze des Dalai Lama befanden? Nun, davon ging ich aus.

Schließlich wagte eines der Kinder – es war etwa acht Jahre alt – sich zu rühren. Es holte ein zartes Fleischstück aus dem Kochtopf und pustete darauf, um es etwas abzukühlen, bevor es mir den Bissen entgegenstreckte. Ich schnupperte argwöhnisch daran. Kein Vergleich mit dem Filet Mignon im Café Franc, doch ich war hungrig, und es roch überraschenderweise sehr gut. Ich zupfte dem Kind das Fleisch aus der Hand, kaute es bedächtig und musste zugeben, dass es angenehm pikant gewürzt war.

Dann setzten Lasya und ich unsere Erkundung im Hinterhof, einem trostlosen Flecken nackter Erde, fort. Wir erreichten eine etwa einen Meter hohe Mauer. Als ich raufsprang, entdeckte ich zu meiner Überraschung ein Fußballfeld ganz in der Nähe. Zwei Mannschaften aus jungen Männern jagten durch den Staub einem Ball hinterher, der aus mit Bindfaden verschnürten zerknüllten Plastiktüten bestand. Jetzt verstand ich, woher die aufgeregten Schreie gekommen waren, die ich unter der Bettdecke gehört hatte.



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