Die Judas-Papiere by Rainer M. Schroeder

Die Judas-Papiere by Rainer M. Schroeder

Autor:Rainer M. Schroeder [Schroeder, Rainer M.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783401061856
Herausgeber: Arena Verlag GmbH
veröffentlicht: 2008-06-01T22:00:00+00:00


15

Vor ihnen lag die längste Nacht ihres Lebens, eine Nacht voller zermürbender Angst, was Dracula unternehmen würde, um ihren Widerstand zu brechen und über sie herzufallen.

Alistair wusste, was er mit seinem Spiegel angerichtet hatte. Das Schuldgefühl verwandelte ihn in ein klägliches Häufchen Elend. Zusammengesunken hockte er auf einem Stuhl und wagte keinem von ihnen in die Augen zu blicken, während er sich stammelnd Selbstvorwürfe machte.

»Dass Sie mir sofort beigesprungen sind und damit Ihr Leben für mich aufs Spiel gesetzt haben, werde ich Ihnen nie vergessen, Byron«, murmelte er. »Ich weiß, dass . . . dass ich es eigentlich nicht verdient gehabt hätte.«

»Das haben Sie auch nicht!«, sagte Horatio hart. »Denn mit Ihrer idiotisch riskanten Spiegelprobe haben Sie vermutlich unser aller Leben verspielt!«

»Lassen Sie es gut sein, Horatio. Er weiß selbst, was er angerichtet hat. Wir alle machen mal Fehler«, griff Byron besänftigend ein, obwohl auch er innerlich eine Stinkwut auf Alistair hatte. Aber in ihrer katastrophalen Lage konnten sie es sich nicht erlauben, sich auch noch untereinander zu zerstreiten. Damit würden sie Dracula nur in die Hände spielen. »Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern. Deshalb sollten wir all unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was wir jetzt noch tun können.«

»Das wird nicht viel sein«, brummte Horatio.

»Einiges aber schon«, widersprach Harriet. »Nämlich sofort alles Essbare und Trinkbare zusammentragen, was wir hier nur finden können, und nach oben in Sicherheit bringen. Denn ich glaube nicht, dass wir morgen wieder einen gedeckten Tisch vorfinden werden.«

Van Helsing hatte sich nach Draculas Rückzug mehrmals bei Byron dafür entschuldigt, dass er nicht schnell genug den Knoten des kleinen Lederbeutels hatte öffnen können, in dem er die kleine Metall-dose mit mehreren geweihten Hostien aufbewahrte. Wobei er nachdrücklich betont hatte, dafür einen kirchlichen Dispens erhalten zu haben.

»Sofern wir den Morgen überhaupt erleben!«, knurrte Horatio und warf Alistair einen wütenden Blick zu.

Alles, was sich auf der gottlob üppigen Tafel fand und Hunger sowie Durst stillen konnte, trugen sie zusammen. Die feste Nahrung schlug Byron kurzerhand in das Tischtuch ein, Weinflaschen und Wasserkrug nahmen van Helsing und Horatio an sich.

Van Helsing schlug vor, sich die Nacht über in seinen beiden Räumen zu verschanzen, weil sie mehr Platz boten als die anderen Schlafzimmer, die über keinen kleinen Nebensalon verfügten. Und so beschlossen sie es auch.

Eiligst rafften sie ihre Sachen zusammen und kehrten zu van Helsing zurück. Zu ihrem Schutz legten sie dann ihre Knoblauchgebinde und Kruzifixe auf die Türschwelle sowie auf die beiden Fensterbänke. Der Arzt versicherte ihnen, dass Dracula nun nicht versuchen würde, bei ihnen einzudringen.

»Warum sollte er auch?«, sagte Horatio und ging im Zimmer rastlos auf und ab. »Ein Vampir hat doch alle Zeit der Welt, um uns hier oben weichzukochen, zumal er sich ja mit dem Blut der beiden armen Amerikanerinnen stärken kann, die er offenbar in seinen Turm gebracht hat. Jedenfalls wird er länger durchhalten können als wir, das steht ja wohl fest.«

Niemand wusste darauf etwas zu erwidern, was einen Funken Zuversicht in ihnen hätte entzünden können. Zwar setzte van Helsing kurz zu einer Erwiderung an, schüttelte dann jedoch den Kopf und hustete blutigen Schleim in sein Taschentuch.



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