Die Hexe von Nassau by Nicole Steyer

Die Hexe von Nassau by Nicole Steyer

Autor:Nicole Steyer
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-426-41550-4
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-08-08T04:00:00+00:00


Seufzend trat er auf den Marktplatz. Hier zeigte sich das gleiche Bild wie in den Gassen. Die Haustüren standen offen, Frauen polierten Fenster oder fegten die Straße. Fuhrwerke fuhren an, und Kinder liefen durcheinander. Es herrschte eine gute, fast schon fröhliche Stimmung.

Er atmete tief durch, straffte die Schultern und wandte sich zum Torbogengebäude, das friedlich im Sonnenlicht lag. Er seufzte. Wenn das nur so wäre. Aber hinter den dicken Mauern sah die Welt anders aus. Dort saßen die armen Frauen, die auf ihren Tod warteten. Dort saß Katharina. Sie alle hatten mal mehr, mal weniger begriffen, dass es zu Ende war und dass aus dieser Hölle kein Weg mehr hinausführte. Auch nicht für die Frau, die er liebte.

Vor der Eingangstür stand der alte Nepomuk. Er war ebenfalls damit beschäftigt, die Straße zu fegen. Lachend winkte der alte Mann Andreas zu.

»Guten Morgen, Hochwürden. Es ist schön, Euch zu sehen«, nuschelte er. Nepomuk hatte keinen einzigen Zahn mehr, und seine Kleidung war schäbig, seine Hosenbeine waren am Saum zerschlissen, und löchrige Strümpfe hingen an seinen dünnen Beinen. Er trug ein beigefarbenes, schmutziges Hemd, darüber eine weite, graue Strickjacke. Nepomuk war ein armer Kerl und tat seine Arbeit für ein paar wenige Taler. Der alte Mann war die gute Seele des Torbogengebäudes und der Amtsstube. Er kümmerte sich um alles, hörte alles und wusste über jeden Bescheid und konnte die besten Geschichten erzählen. Andreas kannte ihn schon eine ganze Weile.

»Wie geht es Euch heute, Hochwürden?«

Andreas dachte kurz nach. Sollte er Nepomuk die Wahrheit sagen oder ihn anlügen? Er entschied sich, ehrlich zu sein. Der Alte würde Unehrlichkeit bestimmt bemerken.

»Ach, es geht mir nicht so gut. Ich muss heute eine junge Frau befragen. Die Arbeit als Seelsorger ist grausam und liegt mir nicht.«

Der alte Mann sah Andreas mitleidig an und nickte.

»Da kann ich Euch gut verstehen.« Er kam ein Stück näher und flüsterte. Andreas ekelte sich vor dem Fäulnisgeruch, gab sich aber Mühe, nicht zurückzuweichen.

»Mir würde es auch missfallen, die Frauen zu überreden, diese seltsamen Dinge zuzugeben. Ich bin ja nur ein armer alter Mann, aber glauben tu ich den Unsinn nicht. Hexen und der Teufel, von wegen! Einen dicken Floh hat der Henker dem Grafen da ins Ohr gesetzt, damit er noch reicher wird und noch mehr Macht bekommt. Mir muss man nichts vormachen. Ich kenne Meister Leonhard. Er behandelt den Grafen wie ein Spielzeug.«

Verwundert sah Andreas den alten Mann, der eifrig weiterflüsterte, an.

»Aber ich sage es Euch. Irgendwann treibt der Henker es zu weit. Der Tag wird kommen, und ich werde über seinen Fall bestimmt keine Träne vergießen. Wenn Ihr mich fragt, ist er der Teufel und nicht all die armen Frauen, die ich tagein, tagaus schreien höre.«

Andreas war erschüttert. So etwas hatte er Nepomuk niemals zugetraut. Der alte Mann musste sich in Acht nehmen. Solche Dinge sollte er besser für sich behalten.

»Tja, wir können es alle nicht ändern«, antwortete er, »es ist nun einmal, wie es ist. Ich wollte kein Seelsorger sein. Aber seit der Superintendent tot ist, muss ich die Arbeit erledigen.



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