Die größten Täuschungen der Geschichte by Johannes Seiffert
Autor:Johannes Seiffert [Seiffert, Johannes]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Naturwissenschaften & Technik, Archäologie, Politik & Geschichte, Geschichte allgemein
ISBN: 9783958410442
Herausgeber: edition berolina
veröffentlicht: 2016-11-16T16:00:00+00:00
Russische Revolution
Der gewaltsame Umsturz im zaristischen Russland 1917 gehört zu den Fixpunkten abendländischer Geschichtsdarstellungen. Wahlweise geschmäht als Ausgangspunkt für die kommunistischen »Verbrechen an der Menschheit«, oder gepriesen als erster erfolgreicher Versuch, ein nicht-kapitalistisches Wirtschaftssystem in Europa zu installieren, weckt das damalige Geschehen bis heute das Interesse vieler Menschen. Dabei scheinen die wesentlichen Daten des Umsturzes klar und unzweifelhaft. Lenin wird von Deutschland 1917 im verplombten Eisenbahnwaggon nach Schweden geschickt, überquert dort illegal die Grenze zum damals russischen Finnland, reist inkognito beziehungsweise unerkannt weiter nach Sankt Petersburg beziehungsweise Petrograd beziehungsweise später Leningrad beziehungsweise heute wieder Sankt Petersburg, entfesselt dort die bolschewistische Oktoberrevolution, stürzt das zaristische Regime und schafft es mit seinen Mitstreitern von den Bolschewiki, den ersten »kommunistischen« Staat auf Erden zu kreieren, der bis 1991 Bestand haben sollte und zum zeitweiligen Mittelpunkt des zweitstärksten Militärbündnisses aller Zeiten wurde (Warschauer Vertrag). Interessanterweise ist die »Oktoberrevolution«, wie sich bei genauerem Hinsehen zeigt, jedoch gleich von zwei Seiten mit einem Schleier der Täuschungen umgeben worden. Und zwar sowohl von den sowjetischen Machthabern einerseits, wie auch von den westlichen Mitspielern andererseits, vor allem von Deutschland (West). Was wurde dabei unterdrückt beziehungsweise übertüncht? Das soll im Folgenden untersucht werden.
Anfang 1917 lag ein Umsturz in Russland förmlich in der Luft, nicht zuletzt seit mehreren Jahren befördert durch millionenschwere »Beratungstätigkeiten« seitens verschiedener Mittelsmänner im Auftrag der Berliner Wilhelmstraße, sprich des Auswärtigen Amtes des deutschen Kaiserreiches, im Auftrag des deutschen Kaisers, der – man kann es nicht oft genug betonen – engste verwandtschaftliche Bande zum russischen Kaiserhaus aufwies: Nikolaus II. war ein Vetter von Wilhelm II. Bereits im einschlägig bekannten »Kriegsrat«, den Wilhelm II. am 8. Dezember 1912 ins Berliner Stadtschloss einberufen hatte, war ausdrücklich vermerkt worden, der Kampf gegen Russland sei unvermeidlich, und man müsse den Krieg gegen die eigene Verwandtschaft über die Presse im Vorfeld »volkstümlich« machen. Nachdem der Krieg begonnen hatte, verlief die weitere Entwicklung allerdings nicht, wie in Berlin geplant. Schneller Durchbruch im Westen: Fehlanzeige. Rasche Niederringung Russlands im Osten: auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Verbündete im Süden – Italien – bereits auf dem Absprung, der dann 1915 tatsächlich erfolgte. Dennoch war im September 1914 noch – vermutlich von Kurt Riezler verfasst (siehe unten) – ein Kriegszielprogramm aufgelegt worden, das neben den bekannten Zielen im Westen (Elsass-Lothringen, die belgisch-französischen Kohle- und Erzreviere (Minette), Teile der Ärmelkanalküste, Luxemburg) auch im Hinblick auf den östlichen Kriegsschauplatz den folgenden Passus enthielt: »Russland [muss] von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.«
Riezler (1882–1956) stammte aus wohlhabender Alt-Münchner Familie, sein Großvater zählte zu den Gründern der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank. Der Familie gehörte ein von Leopold von Klenze erbautes Palais an der vornehmen Brienner Straße. Ab 1906 war er nach philologischen Studien und Promotion im Alter von 24 Jahren ins Pressereferat des Auswärtigen Amtes eingetreten. Unter Reichskanzler Bethmann Hollweg (Amtszeit 1908–1917) wurde er Vortragender Legationsrat in der Reichskanzlei, also dem Reichskanzler als Verbindungsmann zum Auswärtigen Amt beigegeben, eine sehr verantwortungsvolle Position für den Anfangsdreißiger Riezler. Dieser heiratete 1915 die Tochter des »Malerfürsten« Max Liebermann, Käthe Liebermann und emigrierte mit ihr 1938 in die USA.
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