Die Geschenke meiner Mutter by Cecilie Enger

Die Geschenke meiner Mutter by Cecilie Enger

Autor:Cecilie Enger [Enger, Cecilie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2014-08-31T22:00:00+00:00


17

Den Zeigefinger über die Geschenkelisten aus den Siebzigerjahren gleiten zu lassen ist, wie Perlen aus Geschichten auf eine ewig lange Schnur zu ziehen, ein Rosenkranz, an dem ich für den Rest meines Lebens herumfingern kann.

1970 wurde ich eingeschult, und die Lehrerin steht auf der Liste. Sie bekam eine Tischdecke, die ich bemalt hatte. Ich liebte diese Lehrerin.

Die nächstgelegene Schule, Hofstad, die Elling besuchte, war überfüllt, und deshalb kam ich nach Jansløkka, wo mein Klassenzimmer in dem alten Holzhaus lag. Ich war in derselben Klasse wie meine Freundin Benedicte, die auf der anderen Seite von Hønsjordet wohnte. Morgens, ehe wir zur Schule gingen, sammelten wir manchmal die Eier von Benedictes Hühnern in der großen, baufälligen Scheune, die wir eigentlich nicht betreten durften.

Die Lehrerin und ihr Mann, der ebenfalls Lehrer war, wohnten im selben Haus über dem Klassenzimmer. Bis zu den Weihnachtsferien und dem Abschlussfest mit dem Krippenspiel vor der Tafel, bei dem ich, versteckt unter einer dunklen Decke, das Hinterteil eines Esels dargestellt hatte, hatten wir jeden Tag die hundertdrei Stufen der Tarzantreppe im Wald erklommen und kamen an dem niedrigen Holzhaus von Regine aus unserer Parallelklasse vorbei. Ab und zu kam Regine durch die Bäume, hinter denen ihr Haus versteckt lag, und wir gingen zusammen. Regine war noch größer als ich, und sie stotterte. Wir waren nicht oft zusammen, aber ich hing doch an Regine, auf eine Weise, die ich nicht in Worte fassen konnte. Trotz ihres Stotterns konnte sie laut lachen, auf dem Schulweg Geschichten erzählen, und sie hakte sich bei mir ein. Wenn wir zusammen gingen, merkte ich, wie meine zahlreichen Zwangsvorstellungen Pause machten. Ich musste die Augen nicht mehr aufreißen oder den Mund aufsperren, wenn ich mich ungesehen glaubte. Ich hatte keine Angst davor, in der Schule aufs Klo zu gehen, und ich glaubte nicht, dass Mutter sterben würde, weil ich in eines der vielen Löcher auf dem Weg getreten war. Und die Angst, das Haus in Høn könnte leer sein, wenn ich aus der Schule kam, und sich nie mehr mit meiner Familie füllen, ließ mich für eine Weile los.

Wir konnten angstvoll oder lachend über den strengen Rektor Johnsen reden, der in Schlips und Kragen herumlief und alle Übeltäter in das schwarze Klassenbuch eintrug.

Auf dem Weg zur Schule kamen wir auch an einer geheimnisvollen, stark geschminkten Malerin vorbei, die oben auf dem Hügel wohnte. Danach gingen wir an einigen Äckern vorbei, dann überquerten wir den Kirkevei – und standen auf dem Schulhof.

Wenn ich allein aus der Schule nach Hause ging, trödelte ich immer beim düsteren Haus der dünnen, exzentrischen Frau, in der Hoffnung, sie hinter ihren hohen Atelierfenstern zu sehen. Ich wusste, dass sie Joronn Sitje hieß. Mutter hatte mir erzählt, dass sie einmal auf einer Farm in Afrika gewohnt hatte und mit einer Autorin namens Tania Blixen befreundet gewesen war.

Ich wusste auch, dass Vater sich ein Bild von ihr wünschte, aber dazu kam es nie, das konnte er sich nicht leisten.

Eines Nachmittags im November stand sie an dem großen Fenster hinter den hohen Kiefern, als ich am Haus vorbeiging.



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