Die Gefallsüchtigen by Herles Wolfgang

Die Gefallsüchtigen by Herles Wolfgang

Autor:Herles, Wolfgang [Herles, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Knaus Verlag
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00


Leitbild Merkel

Noch dominiert Angela Merkel nicht nur ihre Partei. Sie wirkt, wie gesagt, stilbildend weit ins gegnerische Lager hinein. Vor allem in den Bundesländern ist dies zu sehen. Von farblosen Technokraten werden sie regiert, durchaus erfolgreich, wie Olaf Scholz in Hamburg zeigt. Der Wahlsieger von Hamburg gilt als »Merkel der SPD« und wurde bereits als Kanzlerkandidat ins Spiel gebracht.

Früher waren die Ministerpräsidenten eine Riege begabter Anwärter für höhere Aufgaben. Kiesinger, Brandt, Kohl, Schröder waren Ministerpräsidenten, ehe sie Kanzler wurden. Heute regieren in den Ländern Sachwalter, deren Namen von wenigen Ausnahmen abgesehen kaum über ihre Landesgrenzen hinaus bekannt sind.

Brave, ordentliche, verlässliche, unaufgeregte Normalos machen das Rennen. Der nette grüne Landesvater Kretschmann ist in Baden-Württemberg auch in der bürgerlichen Mitte populär. Niemand muss sich vor dem netten Linken Bodo Ramelow fürchten, einem Gewerkschaftsfunktionär und Kind der Bonner Republik, der Ministerpräsident von Thüringen wurde und wie einst der SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau versprach, »versöhnen statt spalten« zu wollen. Es ist das Lieblingsmotto des unpolitischen Deutschen. Demokratie lebt aber davon, Unterschiede auszutragen.

Nachgeahmt wird, wie die Kanzlerin Politik entpolitisiert. Parteiübergreifend hat sich ihre Konsenskultur ausgebreitet. Inzwischen geht die Merkel-Begeisterung sogar so weit, dass Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Torsten Albig seiner Partei empfiehlt, bei der nächsten Wahl keinen eigenen Kanzlerkandidaten mehr aufzustellen: Lasst das mal die Merkel machen, »sie macht das ganz ausgezeichnet«.93 Bis zur Suspendierung der Demokratie reichen also bereits die Vorschläge der Konformisten.

Die Medien leben zwar auch von politischen Auseinandersetzungen, doch sie bewerten Konflikte prinzipiell als negativ. Parteichefs, die Streit zulassen, werden schnell als führungsschwach kritisiert. Die Mehrheit der Wähler sieht im Trennenden Gefahr, in allem Verbindenden Fortschritt. Die generelle Diffamierung von Streit befördert den Hang zum Konformismus.

»In Deutschland ist der Konsens so stark«, urteilt der New Yorker94, »dass neue Gesetze ungehindert durchs Parlament fließen und bedeutende Debatten so gut wie verschwunden sind.« Dies ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass die Große Koalition über mehr als 80 Prozent der Sitze verfügt. Es ist wohl auch eine Frage der Mentalität.



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