Die Frau, die vom Himmel fiel by Simon Mawer

Die Frau, die vom Himmel fiel by Simon Mawer

Autor:Simon Mawer [Mawer, Simon]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-01-28T16:00:00+00:00


III

Nachdem der Patron gegangen ist, tritt sie ans Fenster, schaut in den kleinen Garten und denkt an Clément. Und an den aalglatten Mann im Nadelstreifenanzug namens Fawley. Aufregung kommt Furcht sehr nahe: das gleiche Herzrasen, der gleiche trockene Mund, der gleiche Schweißfilm unter den Armen. Also, was von beidem empfindet sie, jetzt, wo sie weiß, dass sie nach Paris muss? Aufregung oder Furcht? Oder beides?

Und dann denkt sie an Yvette, dieses Kind im Körper einer Frau, das kleine Mädchen, dem Witwenschaft und Mutterschaft und Kriegschaos über den Kopf gewachsen waren, das an ihrer Wange geweint und geflüstert hatte, dass sie nicht gut genug ist, dass sie nie nach Frankreich geschickt werden würde. Was, so fragt sie sich, spielt Yvette für eine Rolle in diesem ganzen Theater?

Sie radelt nach Plasonne, wo sie ihre Sachen packt und Sophie Bescheid sagt, dass sie für ein paar Tage verreist. Nach Paris, fügt sie hinzu und bereut es sogleich, als sie Sophies angstvolle Miene sieht. »Keine Sorge. In ein paar Tagen bin ich zurück. Ich will bloß eine Freundin besuchen.«

Wieder zurück in Lussac, reagiert Gabrielle Mercey ganz anders. »Du fährst nach Paris!«, ruft sie und klatscht begeistert in die Hände. »Lass mich doch mitkommen!« Und dann, als geklärt ist, dass sie nicht zusammen fahren können, sagt sie: »Warte mal kurz«, und verschwindet, um gleich darauf mit einem Zettel zurückzukommen, auf dem eine Adresse notiert ist. »Das hier sind Freunde von mir. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du jederzeit zu ihnen gehen. Ich bin sicher, die geben dir Unterkunft, falls nötig …«

Alice packt einen Koffer. Sie wird das Kostüm tragen können, in dem sie angekommen ist und das sie seitdem nicht mehr angehabt hat, weil es zu parisienne ist, genau wie die Schuhe, die in einem kleinen Laden auf einer Seitenstraße von der Rue du Faubourg Saint-Honoré gekauft wurden, kurz bevor sie aus Paris nach London abreisten, Maman und Papa und sie, im Frühjahr 1940. Gabrielle schaut ihr hingebungsvoll beim Ankleiden zu, eine Ministrantin am Altar. Sie hilft immer, wo sie kann – näht Knöpfe an, stopft Strümpfe, wendet die Kragen von Alice’ Blusen –, solche Dinge. Im Hinterzimmer des kleinen Hauses surrt unablässig ihre Tretnähmaschine, flickt und bessert aus in Zeiten der Not. »Du wirst so hübsch aussehen, wie eine schicke Pariserin«, sagt sie. »Ich kann mir gut vorstellen, wie du im Jardin du Luxembourg flanierst, in einem Café auf den Champs-Élysées sitzt und die Männer anlockst.«

»Ich glaube nicht, dass ich für so was Zeit haben werde.«

»Vielleicht nach dem Krieg. Vielleicht können wir dann zusammen nach Paris.«

»Vielleicht.« »Nach dem Krieg« kommt ihr vor wie etwas frei Erfundenes, so wie das Paradies etwas Erfundenes ist, eine Zeit und ein Ort grenzenlosen Überflusses, des Friedens und der Harmonie und des ewigen Lichts. Ein Gegenentwurf zur Theologie des Schreckens.

Alice blickt auf ihren gepackten Koffer und überlegt, wie sie die beiden Elektroröhren am besten verstaut. Wenn ihr versucht, etwas zu verstecken, das dann entdeckt wird, sitzt ihr erst so richtig in der Scheiße, wie es einer der Ausbilder in Beaulieu ausdrückte.



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