Die Frau auf der Treppe by Bernhard Schlink

Die Frau auf der Treppe by Bernhard Schlink

Autor:Bernhard Schlink [Schlink, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257604399
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


[128] 14

Zur Begrüßung umarmten Irene und Gundlach sich. Sie überhäuften sich mit Fragen, bis sie lachend merkten, dass es zu viele und zu große waren. Es blieben die einfachen. Schlief er hier? Der Pilot auch? Hatten sie Hunger? Gundlach bot an, ein Abendessen einfliegen zu lassen, freute sich aber auch auf alles, was Irene auf den Tisch brächte. Während Irene und ich kochten, stand er neben uns, auf den Stock gestützt, und erzählte von dem Artikel in der New York Times und den anschließenden Berichten in den deutschen Medien. Das Bild »Frau auf einer Treppe«, das seinen festen Platz in Schwind-Bildbänden hatte, aber nie ausgestellt wurde und zu dessen Verbleib Schwind sich immer ausweichend äußerte, hatte eine geheimnisvolle Aura, die seine Ausstellung ausgerechnet in der Art Gallery of New South Wales zur Sensation machte.

Gundlach rief den Piloten zum Essen und schickte ihn danach wieder weg. Er hätte auch mich gerne weggeschickt. Als Irene Kerze und Rotwein auf den Tisch stellte, fragte er: »Können wir unter vier Augen reden?« Sie lächelte und sagte: »Ich habe vor ihm keine Geheimnisse.« Es machte mich glücklich, auch wenn es nicht stimmte.

Gundlach erzählte von seinen Erfolgen und seinen [129] Kindern, von seiner Sorge um die Zukunft des Unternehmens und des Landes, von seinem Stolz auf das, was er im Leben geleistet hatte. Ich hörte nichts Besessenes, sondern die selbstzufriedene Bilanz eines selbstzufriedenen Bürgers. Wie bei mir wendete Irene auch bei ihm die Fragen nach ihrem Leben in Rückfragen und gab nichts von sich preis. Es schien ihn nicht zu stören; ich fragte mich, ob er wie ich zu höflich war, seine Irritation zu zeigen, oder ob er nicht insistierte, weil er über sie ohnehin wusste, was er wissen wollte. Er lächelte jedesmal, wenn sie einer Frage auswich.

Dann redete er über seine Ehe. Er sei glücklich, seine Frau sei eine gute Frau, eine erfolgreiche Maklerin und zugleich für ihn da, wenn er sie brauche. Aber sie sei so jung, dass er sich oft alt fühle. Er sah Irene an. »Du warst auch jung, aber mit dir habe ich mich nicht alt gefühlt. Ich weiß, ich war jünger, und der Altersunterschied war kleiner. Aber das war nicht alles. Als ich dich jetzt im Bild sah, fühlte ich mich wieder jung.« Er lächelte. »Wir haben Bilder, um den Lauf der Zeit anzuhalten. Ich habe dich damals malen lassen, damit du jung bleibst und ich mit dir.« Gundlach beugte sich vor und nahm Irenes Hand. »Ich habe damals alles falsch gemacht. Du konntest nicht mit mir leben. Aber lass mir dein Bild.«

Irene sah aufs Meer. Ihr Gesicht hatte alle Frische und alle Farbe verloren, es war nur noch Erschöpfung, nur noch Müdigkeit. Der Urlaub von ihrer Krankheit, über die sie nicht mit mir reden wollte, war vorbei. Sie fuhr Gundlach mit der Hand über den Kopf, wie man einem Hund, der sich neben einen setzt, angelegentlich über den Kopf fährt, und stand auf. Sie hielt sich kaum auf den Beinen, aber als ich [130] aufstehen und ihr helfen wollte, warf sie mir einen Blick zu, der es mir verbot.



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