Die Farbe Blau by Jörg Kastner
Autor:Jörg Kastner [Kastner, Jörg]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-10-21T16:00:00+00:00
Kapitel 15
Rembrandts Geheimnis
23. SEPTEMBER 1669
Wir trafen Cornelia in der Küche. Trotz der frühen Stunde war sie schon vollständig angekleidet. Nein, nicht schon, sondern noch. Auch sie hatte, wie ich an den tiefen Ringen unter ihren Augen erkannte, in der Nacht keinen Schlaf gefunden. Die Sorge um ihren Vater verdüsterte ihre Züge, die sich auch bei meinem Erscheinen kaum aufhellten. Ich unterdrückte den Drang, auf sie zuzugehen und sie tröstend in die Arme zu schlieÃen. Etwas in ihrem Blick mir gegenüber hielt mich davon ab. In der Nacht hätte ich für sie dasein müssen, jetzt war es zu spät.
»Du siehst schlimm aus, Cornelis«, stellte sie mit leiser Stimme fest. »Was ist dir widerfahren?«
»So einiges, und nichts davon war angenehm. Aber laà uns später davon reden. Sag mir lieber, was mit deinem Vater ist.«
»Das weià niemand. Er ist spurlos verschwunden, seit er in der Nacht fortlief.«
»Warum ist er fortgelaufen? Hat er nichts gesagt?«
»Gesagt? Er hat es in einem fort hinausgeschrien. Er wollte zu Titus.«
»Zur Westerkerk also. Und, seid ihr ihm gefolgt?«
»Natürlich haben Rebekka und ich bei der Westerkerk nach ihm gesucht, aber dort war er nicht. Ich hatte es auch nicht wirklich erwartet.«
Statt mir die ganze Geschichte zu erzählen, preÃte Cornelia die Lippen zusammen und setzte sich an den Tisch. Sie rang um Fassung.
Rebekka strich mütterlich tröstend über Cornelias Haar und sagte: »Der Herr glaubte, er hätte Titus auf der StraÃe gesehen.«
»Auf der StraÃe?« wiederholte ich, weil sich mir der Sinn dieser Mitteilung nicht erschlieÃen wollte.
»Ja, hier vor dem Haus«, fuhr die Haushälterin fort. »Deshalb ist er schreiend durchs Haus gelaufen und hinaus in die Nacht gestürzt, ehe wir noch recht begreifen konnten, was geschah. Als wir uns notdürftig etwas übergestreift hatten und ihm nach drauÃen folgten, war er schon verschwunden.«
Verwirrt kratzte ich mich am Kopf, hörte aber sofort damit auf, als ich meine Wunde spürte. »Was hat er damit gemeint, Titus auf der StraÃe? Soll der Leichnam seines Sohnes dort gelegen haben?«
»Nicht gelegen, sondern gestanden«, antwortete Cornelia. »So haben wir es jedenfalls Vaters Geschrei entnommen. Titus soll auf der StraÃe gestanden und ihm zugewinkt haben.«
Mein zweifelnder Blick pendelte zwischen der jungen und der alten Frau. »Und er hatte sicher nichts getrunken?«
»Einen Becher Bier zum Abendessen, sonst nichts«, sagte Cornelia.
Jetzt griff auch ich mir einen Stuhl und setzte mich an den Tisch. Ich hatte wahrhaftig eine haarsträubende Nacht hinter mir, aber nun sah ich, daà Cornelia es in den letzten Stunden auch nicht leichter gehabt hatte.
Der Alptraum, in dem mir Rembrandts lachendes Gesicht erschienen war, kam mir in den Sinn. Als ich hörte, was in der Nacht mit dem alten Maler geschehen war, erschien mir der Traum in einem neuen Licht. Hatten die Traumbilder mich darauf hinweisen wollen, daà in dieser Nacht etwas Ungewöhnliches mit Rembrandt geschah? Der Meister war von einem Geheimnis umgeben, aber sosehr ich mich auch anstrengte, ich schien unfähig, es zu lüften.
Es hämmerte in meinem Kopf, ich hatte Mühe, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Eine kaum zu bekämpfende Müdigkeit ergriff von mir Besitz, aber ich rià mich
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