Die Erfinder des guten Geschmacks by Zipprick Jörg

Die Erfinder des guten Geschmacks by Zipprick Jörg

Autor:Zipprick, Jörg [Zipprick, Jörg]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kochen/Backen
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 2013-02-02T23:00:00+00:00


„Um gut in Frankreich zu essen, ein Punkt, das ist alles“, sagte Sacha Guitry. Punkt heißt im Französischen „Point“ – gemeint war Koch Fernand Point.

Die deutsche Pute marschiert

In Sachen Bauchumfang hätten sich Ludwig Erhard und etliche Nachkriegsdeutsche mit »Magnum« Point messen können. Nach den Hungerjahren des Krieges gab es diesseits des Rheins Nachholbedarf. Die Bezugsscheine für Lebensmittel wurden erst 1950 abgeschafft. Als dann die Lebensmittelpreise fielen und die Löhne stiegen, konnte fast jeder wieder kräftig zugreifen. Noch dazu gab es nie gekannte Delikatessen, etwa Ananas aus der Dose. Exotisches schmeckte besonders gut: Verspeiste ein deutscher Vier-Personen-Haushalt im Jahr 1937 noch 314 Gramm frische Südfrüchte pro Monat, waren es 1955 beachtliche 3252 Gramm.

Seit 1955 hieß es zudem: »Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.« Man pilgerte in die Geflügelrestaurantkette des Friedrich Jahn. Bauch und Speckrollen brauchte niemand zu verstecken oder wegzutrainieren. Man war wieder wer – und das zeigte man auch gern.

Der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod schaffte es 1955, die Sehnsucht nach Exotik und Kalorien in einem Rezept zu verbinden: gebutterter Toast, gekochter Schinken, Ananas aus der Dose, eine Cocktailkirsche, Schmelzkäse. Fertig war der Toast Hawaii! Kurios war er nach damaligen Verhältnissen nicht wegen der Ananas, die kannte jeder, sondern aufgrund der süß-sauren Mischung. Unbekümmert griff man zur Dosenware, machte aus Tomatenmark, Dosensahne, Heringsbrocken und Banane einen »Heringssalat nach Art der bretonischen Fischer«. Die wussten ebenswo wenig von ihrer Spezialität wie die Libanesen, die Wilmenrod als Urheber des »arabischen Reiterfleisches«, eines Hackfleischgerichts, nannte. »Obwohl nur 200 Kilometer lang und 20 Kilometer breit […] leben dort mehr Spitzbuben als auf der gesamten Nordhalbkugel zusammengenommen!« So soll er vor versammeltem Publikum das angebliche Ursprungsland seiner Rezepte erklärt haben.

Wilmenrod war seiner Zeit voraus, wenn auch nicht unbedingt mit seinen Rezepten. Denn er war gar kein Koch, sondern Schauspieler, der vor seiner berühmten Kochsendung noch Carl Clemens Hahn hieß und erst dann sein Pseudonym annahm. Aber wer weiß heute noch, ob in den zahllosen Kochsendungen gerade ein Schauspieler kocht oder ein Koch schauspielert?

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel deckte 1959 mit der Titelgeschichte »Der Doppelkopf« schließlich Schockierendes auf: Wilmenrod ließ sich von Lebensmittelherstellern bezahlen! Pott Rum aus Flensburg hatte als Erster die Geldbörse geöffnet. »Während er mit Pott Werbegeschäfte machte, pries Wilmenrod den Rumtopf siebenmal in seinen Sendungen, und auch in seinen Büchern besang er ihn als Hausfreund: ›Der Rumtopf verbreitet etwas von Wärme und Treue im Hause. Wenn man mal gelegentlich in den Keller kommt, um irgendetwas höchst Profanes zu erledigen, so steht er in der Ecke, der bunte irdene Topf, als ein lieber Freund […] Wie könnte man das dunkle Gelass verschließen, ohne ihn, den Guten, Stillen in der Ecke, begrüßt zu haben.‹«

Dann folgte ein Geflügelzüchter namens Pölts, der mit Wilmenrods Hilfe den Puter in deutsche Küchen drückte. »Der deutsche Puter marschiert« hieß es da. Auch beim Gemüse gab es kuriose Geschäfte: »Die Absatzgenossenschaften sitzen auf Bergen von Tomaten. Wilmenrod kommt gerade von einer Italienreise zurück – versehen mit vorzüglichen Tomatenrezepten – und macht nun eine entsprechende Sendung.« Für diese Kollektivwerbung habe Wilmenrod



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