Die Elster auf dem Galgen by Vermeulen John

Die Elster auf dem Galgen by Vermeulen John

Autor:Vermeulen, John [Vermeulen, John]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257606133
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2014-12-16T23:00:00+00:00


[251] 20

Das Pferd rutschte auf dem festgetretenen Schnee aus und drohte einen Moment zu fallen, doch der Kurier konnte es halten, indem er geschickt sein Gewicht auf dem Rücken des Tieres verlagerte. Er stieg ab, band die Zügel an den dafür bestimmten Pfahl vor dem Laden fest und holte eine Papierrolle aus der großen Satteltasche.

Von Pieter, dachte Cock, der vom Laden aus auf die winterliche Straße blickte. Pieter hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, am Monatsende einige Zeichnungen loszuschicken, die drei Wochen später in Antwerpen ankamen.

»Aus Rom«, sagte der Kurier, als er eintrat. »Nehmt Ihr die Sendung an, Meister Cock?«

Das bedeutete, daß Cock wie immer die Kosten bezahlen mußte, wenn er die Blätter haben wollte. Er nickte und griff zu seiner Börse.

Doch meistens war es das Geld wert, dachte Cock, als er die Rolle öffnete. Diesmal waren es zwei Skizzen; die eine zeigte die bei Rom gelegene Stadt Tivoli, die andere eine im Bau befindliche Galeasse auf einer Schiffswerft. Es lag auch ein Brief dabei, der die akkurate Handschrift von Giulio Clovio trug. In ihm äußerte sich der alte Meister begeistert über die Zusammenarbeit mit Pieter. Maestro Pietro Brugole nannte er ihn. Sie hatten eine Arbeitsweise entwickelt, bei der Pieter die Landschaft malte und Clovio die menschlichen Figuren einfügte. Außerdem schien Pieter auch große Fortschritte auf Clovios eigenem Spezialgebiet, den Miniaturen, zu machen. Clovio ließ sich fast lyrisch aus über un quadretto di miniatura la metà fatto per mano sua et altra da maestro Pietro Brugole. Zur Zeit arbeitet Pieter an einem neuen Meisterwerk auf Elfenbeinpapier, das er Der Turmbau zu Babel genannt hat, schrieb Clovio.

Das einzige, was er kritisch anmerkte, war Pieters Weigerung, den italienischen Stil in irgendeiner Hinsicht zu kopieren. Er behauptete, daß er es einfach nicht könne, kein Gefühl dafür habe, aber nach Clovios Meinung war es purer Starrsinn. An der Art und Weise, wie er dies schrieb, war jedoch zu merken, daß der alte Meister an Pieters [252] Weigerung, seinen eigenen, sehr persönlichen Stil an die römische Mode anzupassen, eher Vergnügen hatte.

Die letzten Zeilen des Briefes waren von Pieter diktiert worden. Er erzählte, daß es ihm bei Clovio gut gehe und er schon viel dazugelernt habe. Trotzdem wolle er auf jeden Fall nach dem Winter Rom verlassen, um seine Reise durch die Alpen fortzusetzen und dann den Heimweg anzutreten.

Zum Abschluß ließ er alle grüßen, wobei er Marieke Coecke und Lisa besonders erwähnte.

»Viele Grüße von Pieter«, sagte Cock später zu Lisa. »Er scheint dich noch nicht vergessen zu haben.«

Lisa errötete, aber sie konnte es verbergen, indem sie vorgab, sehr beschäftigt zu sein. »Wir haben einander ewige Treue geschworen«, sagte sie.

Ja, dachte Cock, das wird wohl so sein. Aber er ging nicht weiter darauf ein.

Als er später Marieke besuchte, um ihr Pieters Grüße zu überbringen, fragte diese: »Wie macht er sich dort?«

»Offenbar hervorragend, Giulio Clovio lobt ihn in den höchsten Tönen, und das will was heißen.«

Marieke nickte, als würde sie das nur wenig erstaunen. »Ich hoffe, die südliche Sonne kann seine Verbitterung vertreiben.«

»Wann kommt Pieterrr zurrrück?« fragte Mayken.



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