Die Beschreibung des Unglücks. Zur österreichischen Literatur von Stifter bis Handke by W.G. Sebald

Die Beschreibung des Unglücks. Zur österreichischen Literatur von Stifter bis Handke by W.G. Sebald

Autor:W.G. Sebald [Sebald, W.G.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104904535
Herausgeber: FISCHER E-Books


Auf die ekelerregenden Begleiterscheinungen, die der Wärmetod des sich auflösenden Natursystems mit sich bringt, reagieren die denkenden Protagonisten Bernhards mit dem Bedürfnis, in der Kontraktion, in der Katalepsie und zuletzt im rigor mortis den Ausweg zu suchen. Der Tod des Malers Strauch durch Erfrieren versinnbildlicht diesen Befreiungsversuch. Im Einklang mit der düsteren Naturphilosophie der Romantik wird hier Solideszenz und Versteinerung als die einzige Möglichkeit der Erlösung dargestellt.

Der Erlösung vorauf aber geht eine Phase geistiger Hyperaktivität, ein unablässiges Fragen, Rätseln, Kritisieren, Herumgehen und Perorieren, das sich leicht gleichsetzen ließe mit dem Versuch des schreibenden Subjekts, in der unermüdlichen Verfolgung der Gedanken letzten Endes Ruhe und Antwort zu finden. Diese geistige Überspanntheit bewegt sich fortwährend an der Grenze zur Paralyse. Was einem in solchem Zustand, »in der mehr und mehr philosophischen, philosophistischen Vereinsamung des Geistes, in welcher einem«, wie der Fürst Saurau erklärt, »fortwährend alles bewußt ist, wodurch das Gehirn als solches gar nicht mehr existiert«[21], klar wird, das dürfte Bernhards Begriff von der Wahrheit noch am nächsten kommen. Zu Lebzeiten freilich läßt dieser Wahrheitsbegriff sich nicht einholen. Die wissenschaftliche Studie über das Gehör, die Konrad in der fast völligen Abgeschiedenheit des Kalkwerks zu verfassen sucht, läßt sich selbst an diesem äußersten Platz nicht über die Konzeption hinausführen. Zu vieles unterbricht die absolute Stille, an der allein das wahre Gehör sich schulen könnte. Im übrigen ist der Preis für die Steigerung der Sensibilität die zunehmende Schwierigkeit der Artikulation. Wie es von Kaspar Hauser hieß, daß er im Finstern Farben zu unterscheiden und auf große Entfernung die Verwesung des Holzes zu vernehmen vermochte, so hört Konrad, auch wenn das Auge nicht die geringste Bewegung auf der Wasseroberfläche wahrnimmt, »doch die Bewegung der Wasseroberfläche, oder: die Bewegung in der Tiefe des Wassers, Geräusche von Bewegungen in der Wassertiefe«[22]. Die Verfolgung dieser Wissenschaft führt natürlich in den Bereich der Mystik, und daß Bernhard aus ihr kein Bekenntnis macht, darin liegt nicht das geringste Verdienst seines Werks. Wie Konrad, so hält er sich, ohne der Metaphysik je Einlaß zu gewähren, weiterhin an die Aufgabe, seine Studie zu vollenden. Das hat ihn schon, wie es auch bei Konrad der Fall ist, »in den Verdacht und in den Verruf absoluter Verrücktheit, ja selbst des Wahnsinns«[23] gebracht. Der Erzähler der Geschichte Konrads berichtet, daß Konrad gesagt haben soll: »Es wäre natürlich nichts leichter, als einfach wirklich wahnsinnig zu werden, aber die Studie ist mir wichtiger als der Wahnsinn.«[24]

Die angestrengte Aufrechterhaltung der Rationalität angesichts der Verlockungen des Wahnsinns ist bezeichnend für eine intellektuelle und kreative Disposition, deren Struktur das Werk Bernhards als das eines Satirikers bestimmt. Das Gefühl, daß im Grunde alles zum Lachen ist, das gerade die düstersten Passagen Bernhards dem Leser vermitteln, entsteht aus der Spannung zwischen dem Irrsinn der Welt und den Forderungen der Vernunft. So heißt es in Verstörung, daß »das Komische oder das lustige Element an den Menschen in ihrer Qual am anschaulichsten zum Vorschein«[25] komme. Während aber der Leser aufgrund des ihm präsentierten Materials sich nicht im Gelächter zu befreien vermag, schallt es hinter den Kulissen des Werks umso lauter.



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