Die Argonauten by Maggie Nelson
Autor:Maggie Nelson
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag Muenchen
veröffentlicht: 2017-04-12T16:00:00+00:00
[Lesbische oder alleinstehende Mutterschaft] kann als eine der heftigsten Formen der Ablehnung des Symbolischen betrachtet werden … und zugleich als eine der glühendsten Vergöttlichungen von mütterlicher Kraft – was dazu führt, dass eine gesamte juristische und ethische Ordnung durcheinandergebracht wird, ohne dass dabei eine alternative Ordnung angeboten würde.
Wenn man bedenkt, dass etwa ein Drittel aller amerikanischen Familien gegenwärtig von alleinerziehenden Müttern geführt wird (die Statistik fragt nicht mal nach zwei Müttern oder irgendeiner anderen Form von Zusammenleben – wenn in einem Haushalt eine Mutter lebt und kein Vater, dann ist das der Haushalt einer alleinerziehenden Mutter), könnte man meinen, die symbolische Ordnung hätte mittlerweile ein paar weitere Dellen bekommen. Doch Kristeva ist nicht allein mit ihrer Übertreibung. Für einen noch desorientierteren Versuch über das Thema empfehle ich Jean Baudrillards Text »Die endgültige Lösung oder Die Rache der Unsterblichen«. Darin argumentiert Baudrillard, dass assistierte Formen der Reproduktion (Samenspenderbehandlung, Leihmutterschaft, In-vitro-Fertilisation und so weiter) sowie sämtliche Formen von Verhütung den Selbstmord unserer Spezies einläuten, insofern sie Reproduktion von Sex abspalten und uns so von »sterblichen und geschlechtlich differenzierten Wesen« in klonartige Botschafter einer unmöglichen Unsterblichkeit verwandeln. Baudrillard argumentiert, sogenannte künstliche Befruchtung stünde in Verbindung mit der »Abschaffung all dessen, was an uns menschlich, allzumenschlich ist: Unsere Wünsche, unsere Mängel, unsere Neurosen, unsere Träume, unsere Behinderungen, unsere Viren, unsere Delirien, unser Unbewußtes und selbst unsere Sexualität – all die Züge, die spezifische Lebewesen aus uns machen«.
Ehrlich gesagt, finde ich es eher peinlich als erzürnend, zu lesen, wie Baudrillard, Žižek, Badiou und all die anderen ehrfürchtig bewunderten Philosophen unserer Zeit darüber dozieren, wie wir uns vielleicht retten könnten vor den menschenvernichtenden Gefahren der Bratenspritze (die übrigens niemand verwendet; das bevorzugte Instrument ist eine gewöhnliche Oralspritze), um das vom Aussterben bedrohte »geschlechtlich differenzierte Wesen« zu retten. Und man kann sicher sein, dass sie bei jenem Wesen nur an eine von zwei Optionen denken. Hier Žižek, wie er eine Form von Sexualität beschreibt, die zu einer »schlechten« Welt passen würde: »Im Dezember 2006 haben die Behörden in New York erklärt, dass die Wahl, welchen Geschlechts man sein möchte – und daher auch das Recht, wenn notwendig einen chirurgischen Eingriff zur Änderung desselben durchzuführen –, ein unveräußerliches Recht sei. Die grundsätzliche Unterscheidung, die ›transzendentale‹ Differenz selbst, auf der die menschliche Identität gründet, verwandelt sich also in etwas, das manipuliert werden kann … Für das Transgender-Subjekt ist der Masturbathon ein ideales sexuelles Betätigungsfeld.«
Auf fatale Weise entfremdet von der transzendentalen Differenz, die menschliche Identität grundiert, ist das Transgender-Subjekt kaum menschlich, für immer verurteilt, »das idiotische Vergnügen der Masturbation« zu erfahren, anstatt das der »wahren Liebe«, die uns zu Menschen macht. Denn, wie Žižek – in Hommage an Badiou – bekräftigt: »Die Liebe ist es, das Zusammentreffen der Zwei, die das idiotische Vergnügen der Masturbation in ein wahrhaftes Ereignis ›verwandelt‹.«
Das sind die Stimmen, die in unserer Zeit als progressiv durchgehen. Lassen wir sie ruhig bei ihrer Liebe, bei ihrem wahrhaften Ereignis.
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