Die Akte Rosenherz by Seghers Jan

Die Akte Rosenherz by Seghers Jan

Autor:Seghers, Jan [Seghers, Jan]
Format: epub
Tags: Krimi
ISBN: 3805208480
Herausgeber: TUX
veröffentlicht: 2010-04-03T22:00:00+00:00


Als Anna die Augen aufschlug, sah sie über sich auf dem Balkongeländer eine Taube sitzen, die zu ihr herunteräugte. Anna nickte dem Vogel zu. Die Taube nickte ebenfalls und flog mit lautem Flügelschlag davon.

Verschlafen drehte Anna sich um und tastete nach ihrem Handy. Es war kurz nach sechs. Sie hatte Kopfschmerzen. Erst hatte sie Marthaler geholfen, die Kartons mit der Akte aus dem Auto zu holen, dann hatten sie gemeinsam eine Matratze auf den Balkon gebracht. Anna hatte sich hingelegt und zehn Minuten später bereits fest geschlafen.

Sie stand auf, nahm eine Zigarette aus der Packung und steckte sie an. Sofort begann sie zu husten. «Scheiße», sagte sie leise und schnippte die Kippe auf die Straße.

Sie ging ins Wohnzimmer und schaute sich um. Überall standen die geöffneten grauen Kartons. Auf dem Tisch ein großer Stapel Schnellhefter. Wie es aussah, hatte Marthaler noch lange gearbeitet. Und Wein getrunken.

An der Wohnzimmerwand war ein großes umgedrehtes Ausstellungsplakat befestigt, auf dem untereinander fünf Männernamen standen. Anna kannte die Namen. Sie lächelte und schüttelte den Kopf.

Die Tür zum Schlafzimmer war angelehnt. Sie drückte sie mit dem Ellbogen ein Stück weiter auf und sah Marthaler auf seinem Bett liegen. Er schnarchte. Auf dem Boden lag ein weiterer Schnellhefter, der ihm offenbar aus den Händen geglitten war, als ihn der Schlaf übermannt hatte. Neben ihm auf dem Nachttisch stand ein halbvolles Weinglas.

Anna ging ins Bad und spülte sich den Mund aus. Sie benetzte ihr Gesicht mit Wasser, setzte sich auf den Rand der Badewanne und wusch sich die Achseln und die Füße. Dann zog sie sich an.

In der Küche öffnete sie den Kühlschrank. Sie nahm eine Tüte Milch heraus, roch an der Öffnung und verzog das Gesicht. Im Schrank fand sie eine verschlossene Flasche Orangensaft, die sie mit wenigen großen Schlucken bis zur Hälfte austrank.

Anna suchte das Kaffeepulver und wollte gerade Wasser in die Maschine füllen, als das Telefon läutete. Sie hielt inne und lauschte. Nach dem fünften Läuten schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Es wurde aufgelegt.

Kurz darauf läutete es erneut. Anna ging in den Flur und stellte sich neben das Telefon. Sie nahm den Hörer ab, ohne sich zu melden.

«Marthaler? Spreche ich mit Hauptkommissar Marthaler?», fragte eine Männerstimme. Die Stimme klang gepresst.

Statt einer Antwort gab Anna nur ein leises Brummen von sich.

«Hier ist Kürten, Bruno Kürten. Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr? Ich muss mit Ihnen reden. Ich ... die sind hinter mir her. Kommen Sie zum Hauptfriedhof, Eingang Friedberger Landstraße! In einer Dreiviertelstunde, hören Sie: um Viertel nach sieben! Haben Sie mich verstanden?»

Anna wiederholte ihr Brummen und legte den Hörer auf die Station.

Sie ging zum Schlafzimmer. Marthaler hatte seine Stellung nicht verändert. Er atmete tief und gleichmäßig. Sie rief leise seinen Namen, aber er reagierte nicht. Als sie zu ihm ging und ihn an der Schulter berührte, gab er nur ein unwilliges Grunzen von sich, drehte sich um und schlief weiter.

«Also gut», sagte Anna Buchwald leise, «dann halt ohne dich.»

Sie zog die Chucks an, nahm ihren Rucksack, zog die Wohnungstür hinter sich ins Schloss und lief die Treppe hinab.



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