Die Abschaffung der Mutter by Alina Bronsky
Autor:Alina Bronsky
Die sprache: deu, dan, deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2016-02-04T13:34:39+00:00
Pulvermilch für die Mutter
Oft sind die Allianzen zwischen werbetüchtigen Milchpulverherstellern und vermeintlichen Muttermilch-Befürwortern nur auf den zweiten Blick zu durchschauen. Die ökonomische Macht der Konzerne ist gewaltig, ihr Drang, bei ärztlichen Fortbildungen als Sponsor mitzumischen und Praxen mit großen und kleinen Geschenken auszustatten, ungebrochen.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. So bekommen Mütter selbst von ihren Ärzten immer wieder zu spüren, dass das Stillen von Neugeborenen noch ganz super, von Einjährigen aber schon irgendwie seltsam sei. Während unsere Vorfahren ihre Kinder jahrelang an der Brust ernährten und bis heute in vielen Kulturen auch Dreijährige und Ältere nach der Mutterbrust verlangen, gelten in den Industrienationen eher unphysiologische Normen: Abstillen mit dem ersten Zahn, mit sechs Monaten, allerspätestens mit einem Jahr. Schon in Bilderbüchern werden Flaschen als notwendiges Babyzubehör gezeigt.
Jede Mutter, die ihr Kind stillt, kratzt am Geschäft der Babynahrungshersteller. Wenn sie also schon die Ernährung des Kindes aus eigenen Ressourcen bestreiten will, dann wenigstens nicht zu lange. Dabei mangelt es, wie so oft, an der simplen Logik. Wenn wenige Monate Muttermilch für ein Menschenkind genug sind, warum gibt es dann immer mehr Spezialnahrung, die für den Nachwuchs besser geeignet sein soll als der normale Familientisch? Eine wachsende Produktpalette drängt sich zwischen die bestenfalls kurze Stillphase und die Zeit, in der ein Kind sich an den Mahlzeiten der Erwachsenen beteiligen darf. So soll ein Einjähriger angeblich der Mutterbrust, nicht aber der besonderen »Kindermilch« aus der Tüte entwachsen sein, die sich die Hersteller teuer bezahlen lassen. Der bisherige Höhepunkt: ein Milchpulver, das für die stillende Frau selbst gedacht ist – da es die Muttermilch anreichern soll.
In vielen Familien werden vor allem Kleinkinder wie Astronauten ausschließlich mit Pulver- und Gläschenkost ernährt. Die missionarisch verbreiteten Werbebotschaften suggerieren, dass Kinderessen dann am besten ist, wenn es vom Fabrikfließband kommt. »Die Mütter meinen, sie können es selber besser. Aber das stimmt halt nicht«, kritisiert der Babynahrung-Riese Claus Hipp die Ambitionen mancher Frauen, Bio-Brokkoli für ihre Babys eigenhändig zu pürieren. Niemals kämen die Mütter an so gute Rohstoffe und so genaue Rückstandskontrollen wie der Gläschenhersteller, betont Hipp in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
»War das Geschäft mit der Babynahrung früher einfacher?«, fragt der Interviewer. Hipp: »Sicher. Weil Frauen heute immer später Mütter werden, wird das Ernährungsthema intellektueller. Sie hören weniger auf ihr Bauchgefühl.«
Übertrieben intellektuell bedeutet für Claus Hipp: selbst kochen. Bauchgefühl: Gläschen aufwärmen. Wenn stillende Mütter schon kein Geld für Milchpulver ausgeben, dann bitte spätestens bei der Beikost an die einschlägigen Markennamen denken. Früher wurde die Mutter wenigstens in ihrer Eigenschaft als Köchin nicht in Frage gestellt, heute gilt sie als zu verkopft dazu. Bei den älteren, intellektuellen Frauen hat sich Claus Hipp mit diesen Aussagen keine Freunde gemacht.
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