Der zweite Schlaf: Roman (German Edition) by Robert Harris

Der zweite Schlaf: Roman (German Edition) by Robert Harris

Autor:Robert Harris [Harris, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2019-09-29T22:00:00+00:00


KAPITEL 15

Captain Hancock erfährt das Geheimnis

Der Mund pochte, als hätte ihn etwas gestochen oder gebissen. Fairfax fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Lippen und begutachtete ihn. Halbwegs hatte er Reste einer leuchtend blauen Farbe erwartet. Das Pochen schmerzte kaum und hielt sich an den Rhythmus seines Herzens, das sich – er drückte die Hand darauf – etwas verstopft anfühlte, obwohl er gar nicht außer Atem war. Wenn er sich erschrocken hatte oder gestolpert war und gerade noch einen Sturz hatte vermeiden können, dann klopfte es auch so. Was um Himmels willen war mit ihm geschehen?

Den Aufruhr im Zuschauerraum nahm er gar nicht wahr. Er ging zum Tisch, um Shadwells Apparatur eingehend zu untersuchen. Er nahm nacheinander die verschiedenen Teile aus Metall und Glas in die Hand und betrachtete die Glasröhre und die zwei Metallzylinder von allen Seiten, als könnte er per Deduktion das gerade erlebte Geheimnis entschlüsseln. Diese nicht zusammenpassenden Objekte hatten die glühend blaue Substanz herbeigezaubert, die laut Shadwell die Welt der Vorfahren angetrieben hatte. Jetzt, wo die Vorführung vorbei war, erschien es ihm unmöglich, und doch war er nicht nur Zeuge des Phänomens geworden, er hatte es auch selbst erfahren, ja sogar geschmeckt – den strengen metallischen Geschmack, den die Elektrizität auf die weichen Lippen von Sarah Durston übertragen hatte.

Er fragte sich, wo sie war. Er schaute sich um und entdeckte sie in der Mitte des überfüllten Saals. Sie drückte sich die Satteltasche gegen die Brust und beobachtete ihn. Er sprang von der Bühne.

»Lady Durston, es tut mir leid, ich muss den Verstand verloren haben, dass ich mich so vergessen konnte. Alles in Ordnung mit Euch?«

»Ja, einigermaßen. Ich habe nicht mehr gespürt als ein seltsames Kribbeln in den Knochen und am Kopf. Durchaus nicht unangenehm.«

»Ist das Gefühl jetzt wieder verschwunden?«

»Ja, ganz und gar. Ihr scheint mehr darunter zu leiden als ich.«

»Ich kann immer noch meinen Herzschlag spüren.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, was er oft machte, wenn er von einer Verlegenheit seinerseits ablenken wollte. »Verzeiht mir die unerwünschte Intimität. Als ich auf die Bühne ging, hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde. Sonst hätte ich mich nie damit einverstanden erklärt.«

»Mein lieber Mr Fairfax, sagt doch nicht so was.« Sie lächelte ihn an. »Um nichts in der Welt hätte ich das missen mögen. Allerdings habe ich so meine Zweifel, ob Captain Hancock uns das jemals verzeihen wird.«

Fairfax sah zu der Stelle in der Menschenmenge, wo er glaubte, ihn zuletzt gesehen zu haben. »Wo ist er?«

»Ich glaube, er ist sofort gegangen, nachdem man den armen Dr Shadwell abgeführt hat. Die Sheriffs lassen unsereins leider erst gehen, wenn man seinen Namen, seine Anschrift und eine Aussage zu der Veranstaltung hinterlassen hat.«

Bei dem Gedanken, dass Bischof Pole nicht nur von seiner Anwesenheit erführe, sondern auch von seiner tatkräftigen Teilnahme, befiel ihn eine Heidenangst. »Wir sollten den Captain schnell finden.«

»Warum?«

Darauf antwortete er nichts. Stattdessen nahm er sie am Arm und bugsierte sie durch die Menge. Ihm fiel auf, dass manche ihnen auswichen, als fürchteten sie sich davor, mit dem von der Elektrizität vergifteten Paar in Berührung zu kommen.



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