Der Zufall, das Universum und du by Florian Aigner

Der Zufall, das Universum und du by Florian Aigner

Autor:Florian Aigner [Aigner, Florian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Brandstätter
veröffentlicht: 2016-01-14T23:00:00+00:00


Evolution im Kleinen

Im kleineren Maßstab kann man die Sache freilich schon untersuchen. Auf den großen Antillen in der Karibik, auf Kuba, Hispaniola, Jamaika und Puerto Rico, leben die Anolis-Echsen. Sie sind dort weitverbreitet und haben sich an mehrere unterschiedliche ökologische Nischen angepasst. Manche Echsen spezialisierten sich darauf, im Gras und Gebüsch zu wohnen, andere verlegten sich auf das Leben in Baumkronen. Je nach Lebensraum sehen die Echsen ganz unterschiedlich aus, von welcher Insel eine Echse kommt, ist aber nicht auf den ersten Blick festzustellen. Eine baumkronenbewohnende Anolis-Echse aus Kuba sieht einer baumkronenbewohnenden Echse aus Jamaika sehr ähnlich, beide unterscheiden sich aber deutlich von der gebüschbewohnenden Spezies ihrer eigenen Insel.

Nun könnte man vermuten, dass sich auf einer der Inseln eben mehrere verschiedene Spezies entwickelt haben, die sich daraufhin alle von Insel zu Insel verbreiten konnten. Genetische Analysen zeigten allerdings, dass das nicht so war: Eine Ur-Anolis-Echse hat alle Inseln bevölkert, dann erst hat die Evolution auf allen vier Inseln ganz ähnliche Entwicklungen ablaufen lassen und viermal unabhängig voneinander ähnliche Anolis-Spezies hervorgebracht. Eine baumkronenbewohnende Echse mag zwar ganz ähnlich aussehen wie ihre Baumkronenkollegin von der Nachbarinsel, die beiden sind miteinander aber nicht enger verwandt als mit der deutlich anders aussehenden Echsenart, die daneben im Gebüsch lebt. In diesem Fall hat sich die Evolution also als reproduzierbar erwiesen. Sie hat mehrfach dieselben Ergebnisse geliefert, der Zufall scheint hier keine wesentliche Rolle gespielt zu haben.

Man kann etwas ganz Ähnliches auch mit einfacheren Lebewesen ausprobieren, indem man im Labor eine Mini-Evolution ablaufen lässt. Im Jahr 1988 startete der US-amerikanische Biologe Richard Lenski ein Langzeit-Experiment. Er wählte dafür ein eher unglamouröses Lebewesen aus – das Bakterium Escherichia coli, das im Darm von Menschen und Tieren wohnt und das wir in großer Zahl fluchend von unseren Schuhsohlen kratzen, wenn wir auf der Straße in Hundekot gestiegen sind. Lenski und sein Team beobachteten zwölf Escherichia-coli-Kulturen, die in zwölf verschiedenen Flaschen mit Zuckerlösung lebten. Jeden Tag wurden Bakterien entnommen und in eine neue Zuckerlösung übersiedelt, wo sie sich weitervermehren konnten.

Alle Flaschen wurden immer völlig gleich behandelt. Trotzdem erwartete man, dass man bald große Unterschiede zwischen den zwölf verschiedenen Bakterienkulturen feststellen würde. Der einfache Labor-Lebensraum, den man den Bakterien zur Verfügung stellte, unterschied sich ganz drastisch von ihrer gewohnten komplexen Umgebung im Darm. Dass sich die Bakterien auf irgendeine Weise evolutionär verändern würden, war daher auf jeden Fall zu erwarten. Dieser Wandel, so dachte Lenski, könnte aufgrund zufälliger Mutationen nach tausenden Generationen in den unterschiedlichen Flaschen ganz unterschiedlich aussehen.

Doch die Evolution von E. coli stellte sich als bemerkenswert stabil und reproduzierbar heraus. Tatsächlich konnte man gewisse evolutionäre Entwicklungen beobachten, die Bakterien verbesserten ihre Fitness im Vergleich zu ihren gemeinsamen Vorfahren, ihre Größe und Form veränderte sich. Allerdings entwickelten sich diese Änderungen in allen zwölf Kulturen auf bemerkenswert ähnliche Weise. Man hätte also denken können, das Experiment würde die Konvergenztheorie stützen und dem Zufall höchstens eine kleine Nebenrolle auf der Bühne des Bakterienlebens zugestehen.

Doch eines Tages geschah etwas Dramatisches: Ein Bakterium lernte etwas völlig Neues. In der Nährlösung, die man den



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