Der Wind aus der Ebene by Yaşar Kemal

Der Wind aus der Ebene by Yaşar Kemal

Autor:Yaşar Kemal [Kemal, Yaşar]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Anatolien, Anatolische Trilogie, Baumwolle, Landwirtschaft, Türkei, Yashar Kemal
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-12-19T16:00:00+00:00


11

Nicht eine Seele kam den Weg entlang, auf dem die Leute aus den Dörfern sonst jedes Jahr dicht gedrängt in die Çukurova hinunterzogen.

Vielleicht hatte Halil der Alte sich geirrt und die Bauern aufgerufen, bevor die Baumwolle reif war. Dann mussten sie warten, die Augen ängstlich auf die noch nicht erblühten Baumwollpflanzen geheftet, genau wie einmal vor langer Zeit, als Halil der Alte krank gewesen war. Von solchem Missgeschick wurden die Nachbardörfer sehr oft betroffen. Sie warteten müßig, sahen, wie die Samenkapseln eine nach der anderen aufbrachen, zählten sie, heute fünf, morgen zehn, jeden Tag mehr, bis sie endlich eines frühen Morgens eine schneeweiße Welt erblickten.

Ali hatte seine geschwollenen Füße mit Fett eingerieben und lag auf dem Rücken ausgestreckt in der Sonne. In der Nähe sprudelte Wasser aus einer kleinen Quelle, und etwas weiter fort stand eine mächtige Kiefer; Harz tropfte an ihrer verbrannten Rinde herab. Das Gras auf der grauen Erde war fast verdorrt. Meryemce hockte reglos auf der anderen Seite der Quelle und warf nicht einen Blick auf Ali, während Elif, den Rücken an einen einsamen Azarolenbaum gelehnt, die Kleider der Kinder nach Läusen absuchte. Die Sonne schien wie im Frühling, und kein Windhauch bewegte die Blätter. Sie hatten jetzt die mildere, dem Mittelmeer zugewandte Seite des Taurusgebirges erreicht. Die Kinder saßen splitternackt auf der Erde, schweigend und hilflos, und kauten Balsamharz, das sie im Wald gefunden hatten.

Ein schwaches Brummen ertönte am Himmel. Alle hoben den Kopf, nur Meryemce rührte sich nicht. Die Kinder sprangen schreiend auf. Ali richtete sich empor, und Elif rückte näher zu ihm heran. Seine Augen suchten den Himmel ab, und auch sie sah verwundert und erschrocken auf. Schließlich hob selbst Meryemce den Kopf.

Hoch oben schossen drei Düsenjäger durch das Blau, schimmernde Silberstreifen hinter sich herziehend, die in den Himmel einschnitten. Sie entschwanden ihren Blicken, und bald danach erstarb auch das Geräusch.

Ali sah lächelnd auf die erschrockenen Gesichter um sich herum. »Man nennt sie Luftboote«, sagte er. »Eines von ihnen kann hundert, tausend, zweitausend Mann, ja, ein ganzes Heer aufnehmen. Jeder Soldat bekommt eine Bombe, und die wirft er über den Dörfern der Ungläubigen ab. Unter diesem Bombenregen sterben die Ungläubigen in Massen, und kein Stein bleibt auf dem anderen. Ihr habt ja selbst gesehen, dass sie wie ein Blitz am Himmel verschwinden. Als ich Soldat war, erzählte man, dass die Türken diese Dinger am allerbesten reiten können. Mein Sergeant sagte zu mir: Komm her, Ali, steig auch hinein und erhebe dich empor in die Lüfte! – Um Gottes willen, sagte ich, lass mich! Ich falle bestimmt hinunter! Er lachte: Du Kerl, man nennt das ›fliegen‹. Es ist ein Wunder Allahs, wie könnte dann also irgend jemand herunterfallen? – Das vielleicht nicht, mein Sergeant, sagte ich, aber ich würde mich trotzdem niemals trauen! Ihr hättet hören sollen, wie der Sergeant da lachte. Ali, sagte er, da habe ich dich nun für einen tapferen Burschen gehalten, und jetzt bist du so ein Hasenfuß! – Hör, mein Sergeant, sagte ich, Tapferkeit ist schon recht, solange du beide



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