Der wilde Gesang der Kaiserin Elisabeth. Erzählungen by Dieter Kühn

Der wilde Gesang der Kaiserin Elisabeth. Erzählungen by Dieter Kühn

Autor:Dieter Kühn [Kühn, Dieter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104034164
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2015-07-25T16:00:00+00:00


Sie sollen sich beeilen, sollen voranmachen! ruft der Förster seiner Frau, seinen Töchtern Vreni und Liesl zu. Alle drei tragen bereits Sonntagsdirndl mit sauberen Brustlätzen, aber noch ohne Kettenschmuck, der wäre bei den raschen, fast wirbelnden Bewegungen unablässig zu hören: eine der Töchter kehrt noch einmal mit schwingendem Reisigbesen die drei Stufen vor der grüngestrichenen Haustüre des Forsthauses, die zweite Tochter steht auf einem Stuhl, staubt das mächtige Hirschgeweih über dem Türrahmen ab, die Frau wischt noch einmal über den Tisch unter den beiden Fenstern mit Schlagläden und Blumenkästen. Alles an seinem Forsthaus muß blitzen und blinken! ruft der Förster, der ebenfalls festlich gekleidet ist: über der grauen Weste seines grünen Sonntagsforstanzugs die goldene Uhrkette mit besonders prächtigen Keilerzähnen, die im Gehtakt des ungeduldig auf und ab schreitenden Mannes pendeln. Der zieht, plötzlich stehenbleibend, die Taschenuhr an der Kette aus der Uhrentasche, läßt den goldenen Deckel aufschnappen und dabei einen fast handtellergroßen Sonnenreflex aufblitzen, schaut auf das Emailleblatt mit den römischen Ziffern, drückt den Deckel zu, versenkt die Uhr in der Uhrentasche, geht noch rascher, ja beinah heftig auf und ab am Wiesenrand, um den frischgeharkten Kies zwischen Haus und Wiese nicht zu betreten, ruft den Frauen, die alles längst schon Geputzte, Gewienerte, Polierte noch einmal putzen, wienern, polieren, zu, es würde pressieren, sie sollten endlich die Blumen auf den Tisch stellen, denn der Förster weiß, daß der König vor einem Forsthaus mit Blick in die sonnige Bergwelt gern einen ländlichen Blumenstrauß sieht. Der steht jetzt noch im kühlen Hausflur, aber gleich nach der Aufforderung eilt Vreni hinein, holt den Krug heraus, setzt ihn ab auf dem bereitliegenden Stickdeckchen: sattgelbe Schlüsselblumen, warmroter Klatschmohn, violettblaue Glockenblumen und tiefblauer Enzian – diese Blumen wird der König sehen, wenigstens für einen kurzen, königlich kurzen Moment, nachdem er sich hingesetzt hat, auf dem Polster, das Liesl zurechtlegt, und der König wird von der Vase mit den Wiesenblumen auf die Wiese mit den Wiesenblumen hinüberschauen, mit den sattgelben Schlüsselblumen, dem warmroten Klatschmohn, den violettblauen Glockenblumen, dem tiefblauen Enzian und am Wiesenrand ein Bach, dessen Blinken man zu diesem Zeitpunkt von der Bank aus wahrnehmen kann, und auf der anderen Seite der Fichtenwald, vor der dunklen Fläche goldene Zuckpunkte: Libellen und Hummeln, auch Bienen. Über den reglosen Wipfeln das Fichtengrün der Bergflanke, darüber das Latschengrün, über der Vegetationsgrenze eine Karstfläche mit einem Wildwasserkeil, der nun freilich gerölltrocken ist, und dann: Felsbuckel, Felsspalten, Felsmauern, Felsnasen, Felsnadeln, Schneezungen, grauweiß, und Blankeis, in der Sonne smaragdgrün aufleuchtend, und hoch oben der sehr reine Gipfelfirn: westwärts stäubt im Höhenwind eine schmale Schneefahne ab; also wird vorerst keine Eintrübung von Westen die Kristallreflexe im Firnschnee, das Leuchten im Blankeis dämpfen, das Fichtenblaugrün, das Wiesengrün, die Blumenfarbpunkte: all das soll der König so sehen, wie es nun der Förster sieht, der stehenbleibt, tief durchatmend, und er ruft den umherwirbelnden Frauen zu, daß es nun wirklich pressiert, und so falten sich bei den noch rascheren Drehbewegungen der beiden jüngeren und auch der älteren Frau die Dirndlröcke glockenförmig auseinander, zeigen rote Strümpfe, knielange Leinenhosen mit Ziernähten.



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