Der Waldgang by Jünger Ernst
Autor:Jünger, Ernst [Jünger, Ernst]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-06-12T16:00:00+00:00
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An diesen Grenzen tritt der Mensch in seine theologische Prüfung, gleichviel ob er sich darüber im klaren ist oder nicht. Man sollte auch auf das Wort nicht zuviel Wert legen. Der Mensch wird nach seinen höchsten Werten befragt, nach seiner Ansicht zum Weltganzen und dem Verhältnis seiner Existenz zu ihm. Das braucht nicht in Worten zu geschehen, ja es wird sich dem Wort entziehen. Es kommt auch auf die Formulierung der Antwort nicht an, das heißt: nicht auf Bekenntnisse.
Wir sehen also von den Kirchen ab. Dafür, daß sie noch unerschöpftes Gut enthalten, gibt es in unserer Zeit, und gerade in ihr, bedeutende Zeugnisse. Zu ihnen rechnet vor allem das Verhalten ihrer Gegner, in erster Linie das des Staates, der unumschränkte Macht erstrebt. Das bringt notwendig Kirchenverfolgung mit. In diesem Stande soll der Mensch als zoologisches Wesen behandelt werden, gleichviel ob ihn die herrschenden Theorien ökonomisch oder andersartig einordnen. Das führt in die Bereiche zunächst des puren Nutzens, sodann der Bestialität.
Auf der anderen Seite steht der Charakter der Kirchen als Institution, als menschliche Einrichtung. In diesem Sinne bedroht sie stets Verhärtung und damit das Versiegen der spendenden Kraft. Darauf beruht das Traurige, Mechanische, Unsinnige an manchem Gottesdienst, die Qual der Sonntage, dann das Sektierertum. Das Institutionelle ist zugleich das Angreifbare; der durch den Zweifel geschwächte Bau stürzt über Nacht, falls er nicht einfach in ein Museum verwandelt wird. Man muß mit Zeiten und Räumen rechnen, in denen die Kirche nicht mehr vorhanden ist. Der Staat sieht sich dann darauf angewiesen, die so entstandene oder sich offenbarende Leere mit seinen Mitteln auszufüllen — ein Unterfangen, an dem er scheitern wird.
Für jene, die sich nicht grob abspeisen lassen, ergibt sich die Lage des Waldganges. Zu ihm kann sich der priesterliche Mensch gezwungen sehen, der glaubt, daß ohne Sakrament kein höheres Leben möglich ist und der in der Stillung dieses Hungers sein Amt erblickt. Das führt zum Walde und zu einer Existenz, die immer wiederkehrt in der Verfolgung und vielfach beschrieben ist, wie in der Geschichte des heiligen Polykarp oder in den Memoiren des vortrefflichen d'Aubigné, der Stallmeister Heinrichs IV. war. Unter den Neueren wäre hier Graham Greene zu nennen mit seinem Roman »The Power and the Glory«, der in einer tropischen Landschaft spielt. Wald ist in diesem Sinne natürlich überall; er kann auch in einem Großstadtviertel sein.
Darüber hinaus handelt es sich um das Bedürfnis jedes Einzelnen, soweit er sich nicht mit der zoologischpolitischen Einordnung abfindet. Damit berühren wir den Kernpunkt des modernen Leidens, die große Leere, die Nietzsche als das Wachsen der Wüste bezeichnet hat. Die Wüste wächst: das ist das Schauspiel der Zivilisation mit ihren entleerten Beziehungen. In dieser Landschaft wird die Frage nach der Wegzehrung besonders brennend, besonders eindringlich: »Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt.«
Gut, wenn die Kirche Oasen schaffen kann. Besser, wenn sich der Mensch auch damit nicht beruhigt. Die Kirche kann Assistenz geben, nicht Existenz. Auch hier sind wir, institutionell gesehen, noch auf dem Schiff, noch in Bewegung; die Ruhe ist im Wald. Im Menschen fällt die Entscheidung; niemand kann sie ihm abnehmen.
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