Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman by Andrej Kurkow
Autor:Andrej Kurkow [Kurkow, Andrej]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Haymon Verlag
veröffentlicht: 2011-12-21T17:00:00+00:00
Kapitel 19
Die blaue Polarnacht, die von den buntfarbenen Himmelsbändern erleuchtet wurde, dauerte fort, und der Propellerschlitten durchflog sie, in dem der Komsomolze Zybulnik saß und fröstelte. Er ermahnte sich selbst zur Munterkeit und sah dabei von Zeit zu Zeit auf das Armaturenbrett. Auf dem Sitz daneben döste der Volkskontrolleur Pawel Aleksandrowitsch Dobrynin. Er döste vor sich hin und hörte im Schlaf das Bellen seines Hundes Mitka, und aus diesem Gebell tauchte, so als wäre es gar kein Geräusch, sondern eine besondere Art von warmem Nebel, das liebe und einfache Gesicht seiner Frau Manjascha auf. Sie blickte ihren Mann an und lächelte ihr breites bäuerliches Lächeln. Dieses Traumbild brachte auch den Volkskontrolleur zum Lächeln, er lächelte mit geschlossenen Augen, worauf der Komsomolze Zybulnik das Gesicht seines Passagiers mit Interesse betrachtete und dabei natürlich an etwas anderes dachte.
Es war unklar, wie lang sie schon unterwegs waren. Zybulnik selbst war schon im Begriff, am Steuer einzunicken, und wenn dies eine Straße gewesen wäre und keine grenzenlose, schneebedeckte Ebene, dann wäre der Propellerschlitten wahrscheinlich entweder in eine Hütte oder in einen Laternenmast gekracht. Aber diese Gefahr bestand hier nicht. Schließlich seufzte der Komsomolze erleichtert und drosselte die Geschwindigkeit des Propellerschlittens. Auch das Heulen des Motors wurde leiser und vermutlich erwachte Dobrynin deshalb, rieb sich die Augen und blickte zuerst zur Seite und dann nach vorne.
Vor ihnen war ein kleines, einsames Häuschen mit einer roten Fahne auf dem Dach aufgetaucht.
„Was ist das, ein Dorf oder eine Stadt?“, fragte Dobrynin, der sich vergeblich an die jakutischen Definitionen für Wohngebiete zu erinnern versuchte.
„Eine Vorstadt!“, antwortete Zybulnik, und seine Stimme klang in den Ohren des Volkskontrolleurs ein wenig unzufrieden.
Der Komsomolze fuhr den Propellerschlitten bis direkt an die Schwelle heran, hielt ihn dort an, stellte den Motor ab und sprang in den Schnee.
„Die Schweine!“, murmelte er für sich, als er zur Tür ging.
„Wer?“, wollte Dobrynin wissen.
„Das weiß der Teufel! Komm rein!“ Und der Komsomolze öffnete die Tür und ließ Pawel den Vortritt.
Das Häuschen bestand aus zwei Zimmern und war kalt. Auf dem Boden lagen Papierfetzen herum, irgendein Abfall.
Zybulnik, der hinter dem Kontrolleur hereingekommen war, stürzte plötzlich nach vorn, lief zu einem kleinen Nachtkästchen, das aus einer Armeekiste hergestellt war, riss das Türchen auf und fluchte laut, als er auf das leere Fach starrte.
„Was ist los?“, fragte Dobrynin und trat hinter den Komsomolzen.
„Geklaut!“, antwortete Zybulnik kurz angebunden. „Die Hunde müsste man finden und erschießen!“
„Und was haben sie geklaut?“
„Drei leere Hefte und Komsomol-Beiträge.“
„Wer kann denn das gewesen sein?!“, wunderte sich der Volkskontrolleur laut.
„Wer, wer! Die einheimischen Eskimos!“, stieß der Komsomolze hervor. „Na, denen werde ich’s zeigen!“
Nach ein paar Minuten hatte sich Zybulnik ein wenig beruhigt, heizte den Ofen ein, der von der gleichen Art war, wie er in dem Häuschen am Flugplatz gestanden hatte, also ein schlichtes Benzinfass. Aus dem zweiten Zimmer brachte er zerbrochene Holzbretter herein.
„Sie werden hier schlafen.“ Er zeigte Dobrynin ein etwas kurz geratenes Holzbett, das, wie es Dobrynin schien, ebenfalls aus Armeekisten bestand, und das mit verschiedenen Schablonenzeichen und langen Reihen geheimer Ziffern versehen war.
Die Luft im Häuschen wurde allmählich wärmer.
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