Der Mann im Ohr by Marte Cormann

Der Mann im Ohr by Marte Cormann

Autor:Marte Cormann [Cormann, Marte]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-11-20T16:00:00+00:00


Kapitel 12

Am nächsten Vormittag notierte die Arzthelferin vorne am Empfang der Praxis Dr. Senger, Arzt für Allgemeinmedizin, das Stichwort »Kopfläuse« auf einen Zettel, den sie in die Karteikarten legte, und bat Katja, mit den Kindern im Wartezimmer Platz zu nehmen. Während Lena und Tom in den Bilderbüchern blätterten, die sie von zu Hause mitgebracht hatten, schweiften Katjas Gedanken zu Jürgen.

Weiter als bis zum Düsseldorfer Rheinufer war er auf seiner Weltreise also nicht gekommen. Wieso war er ausgerechnet als Musiker bei einer Band gestrandet? Seine Saxophon-Kenntnisse mußten doch gegen Null gehen, nachdem er jahrelang nicht mehr gespielt hatte.

Seitdem Katja das Plakat in der Bäckerei entdeckt hatte, stand für sie fest: Sie mußte heute abend zu diesem Konzert. Sie wollte Jürgen zumindest sehen. Ob sie auch die Kraft haben würde, ihn anzusprechen, würde sich zeigen.

Sie dachte lange darüber nach, ob sie die Kinder mitnehmen sollte. Schließlich entschied sie sich dagegen. Beim ersten Wiedersehen wollte sie Jürgen allein gegenüberstehen. Wer konnte schon ahnen, wie er reagierte, wenn er sie sah? Wenigstens den Kindern wollte sie eine mögliche Zurückweisung ersparen.

Doch auch Wilhelmina gegenüber hatte sie kein Wort über ihre Entdeckung verloren. Wilhelmina mit ihrem Ich-bin-die-Mutter-Gehabe würde bei einem Wiedersehen die Szene sofort beherrschen und jede Annäherung zwischen Jürgen und ihr erschweren.

Ausnahmsweise mußte Katja einmal nur an sich selbst denken. Und natürlich an Jürgen. Bei dem Gedanken an ihn begann ihr Herz unruhig zu flattern. Nur gut, daß das nächste EKG im Zimmer nebenan stand.

Typische Anzeichen von Panik. Zwischen ihnen gab es eine Menge zu klären, doch was sollte sie tun, falls Jürgen ihr auswich? Gab es eine andere an seiner Seite? Verlangte er die Scheidung? Oder drehte sich etwa ihr bei seinem Anblick der Magen um?

In ihrer Fantasie sah Katja sich in Ingrid-Bergmann-Manier mit hochgeschlagenem Mantelkragen als einsame, verlassene Ehefrau in einer riesigen Menschenmenge. Trugen im Film nicht alle verlassenen Ehefrauen Mäntel mit hochgeschlagenem Kragen, die sie vorne fest zusammenhielten? Später würde sie in einer bewegenden Abschiedsszene ihr feuchtes Taschentuch wringen und den männlichen Helden anflehen, bei ihr zu bleiben. Doch er dachte nicht daran, sondern wandte sich nur angewidert ab. Zurück blieb eine gebrochene Frau.

Ach nein, das war ja das Szenarium der späten fünfziger Jahre. Heute lief eine solche Szene total anders ab: Mit Hilfe ihrer besten Freundinnen, die selbstverständlich auch alle ihre Beziehungsprobleme hatten, aber gar nicht unglücklich waren, sondern nur von Herzen darüber lachen konnten, würde sie dem treulosen Ehegatten sein zusammengescharrtes Hab und Gut vor versammeltem Publikum auf die Bühne kippen. Um dann selbst zum Saxophon zu greifen und einen Blues hinzulegen, der dem Plattenproduzenten, der rein zufällig unter den Zuhörern saß, einen Exklusiv-Vertrag abnötigte.

Ehrlich gesagt, Katja fand sich in keiner dieser beiden Rollen wieder. Ihr lag weder die Heulsuse noch das Superweib. Sie siedelte sich eher irgendwo in der Mitte an. Bevor eine Situation nicht eintrat, wußte sie nie, wohin das Pendel ausschlug. Und gerade deshalb benötigte sie beim Wiedersehen mit Jürgen seelischen Beistand.

Armin, ihr Retter in allen Wechselfällen des Lebens, war gefragt. Mit ihm an der Seite würde sie Jürgen Paroli bieten können.



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