Der Klang der Trommel by Louise Erdrich

Der Klang der Trommel by Louise Erdrich

Autor:Louise Erdrich
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau digital
veröffentlicht: 2015-05-14T16:00:00+00:00


4

Die Trommel des kleinen Mädchens

Nun wollen wir aber nicht vergessen, daß Anaquot einen trauernden Mann im Schnee zurückließ, den leidgeprüften Ehemann, meinen Großvater Old Shaawano. Ich habe ihn gut gekannt, weil er manchmal auf mich aufgepaßt hat, wenn meine Eltern an der Flasche hingen. Als ich klein war, hatte er mich gern bei sich, und in dieser Zeit habe ich von ihm so manches über die Trommel erfahren, vieles allerdings auch aus anderen Quellen. Ich war mit den alten Männern befreundet, die ihm nahestanden, und auch mit den alten Frauen. Ich war einer dieser Jungen, die sich immer alt fühlen, vielleicht weil die Schläge meines Vaters mich alt gemacht hatten. Ich wollte nie jung sein, weil Jungsein Leid bedeutet. Ich habe immer gern den Alten zugehört. Von ihnen also weiß ich, wie es meinem Großvater erging, nachdem Anaquot ihn verlassen und er die verstreuten Gebeine seiner Tochter aufgelesen hatte.

Wenn es ihn drängte, von dieser traurigen Begebenheit zu erzählen, packte ihn ein Schmerz, der wie Schüttelfrost war und sich immer weiter ausbreitete, ihm das Herz abdrückte und in der Kehle würgte. Dann ging er aus dem Haus und streifte ziellos durch die Gegend, und mein Vater, der damals noch ganz klein war, blieb sich selbst überlassen. Old Shaawano fand keine Ruhe. Tage oder Wochen konnten vergehen, bis er von seinen Streifzügen zurückkam und zu Hause in sich zusammensank. Daß sein Sohn nicht mehr da war, versetzte ihn zunächst in unsinnige Wut, dann wurde er regelmäßig krank, vergaß nach dem Jungen zu suchen und lag hilflos fiebernd in seiner Hütte. Bei der kleinsten Berührung knisterte sein Haar. Er litt unsäglich, wenn der Wind über ihn strich und die Hitze durch seinen Körper jagte, so daß er tagelang Blut hustete, im Bett blieb und zitternd und elend darauf wartete, daß der Kelch der Verzweiflung vorüberging.

Wenn er allein war, hörte oder sah mein Großvater damals oft Dinge, von denen er genau wußte, daß sie nicht da waren. Seine niedrige, dunkle Hütte bestand nur aus einem Raum, der an drei Wänden kleine Fenster hatte. Sie steht noch im Busch hinter meinem Haus, ich halte jetzt Hühner darin. Die Tür an der vierten Seite öffnete sich nach Westen, und das war nicht gut, weil dahin die Toten gehen. An guten Tagen konnte Shaawano von seinem Lager aus durch die Tür in den Wald sehen, aber gewöhnlich machte er die Tür zu, damit die Geister nicht hereinkamen. Einige schafften es trotzdem, sie schoben sich unter der Schwelle durch oder zwängten sich durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen. Die Geister waren sämtlich Unbekannte, und das war ihm unbegreiflich. Immer wieder fragte er sie nach seiner kleinen Tochter, aber keiner beachtete ihn. Viele kamen von der anderen Seeseite, und diesen Leuten traute er nicht über den Weg, seit dieser Teufel Pillager ihm die Frau gestohlen hatte. Daß diese fremden Geister kamen statt seiner Tochter oder seiner Verwandten, enttäuschte ihn sehr. Unsere Familie, meine Vorfahren, seien gescheite Leute gewesen, sagte mein Großvater, diese Fremden aber schienen nicht sehr schlau zu sein.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.