Der Kalligraph des Bischofs by Titus Müller

Der Kalligraph des Bischofs by Titus Müller

Autor:Titus Müller
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-01-16T23:00:00+00:00


17. Kapitel

Germunt nahm den Stock aus dem Winkel in Aelfnoths Kammer, befreite ihn von Spinnfäden und wog ihn in den Händen. »Wieder reisen«, seufzte er. Dieses steife Bein hinter mir herziehen, Tag für Tag, Woche für Woche. Und dann die Berge erklimmen, als Krüppel. Muß ich das? Er fuhr mit dem Finger nachdenklich die rauhe Wand entlang. Stilla ist froh, wenn ich in der Ferne bin.

Trotzdem würde er die Reise machen. Germunt umfaßte den Stock fester. Ich habe einen wichtigen Brief zu überbringen und eine Warnung. Claudius vertraut Theodemir, während der ihn verrät. Das muß Claudius erfahren. Und es gibt Arbeit zu tun. Der Bischof wird sehen, daß er mich nicht umsonst nach Tours geschickt hat. Er hat meine Dankbarkeit verdient, und er wird sehen, daß ich ihm nützen kann.

Vielleicht werde ich mir irgendwann meinen eigenen Weinberg erarbeiten. Die Tote hat mein Leben als Grafensohn mit ins Grab genommen. Aber diesen Traum wird sie nicht in ihren Krallen halten.

Die Stimme des alten Weinbauern, gleichzeitig rauh und auf eine gewisse Art sanft, ertönte in Germunts Gedanken. »Wenn du die Geiztriebe erst im Winter schneidest, dann hat der Rebstock offene Schnittwunden am Stamm. Besser ist es, wenn du sie ausbrichst, solange sie grün sind. Die Wunde hat Gelegenheit, bis zum Herbst zu verheilen.«

»Eines Tages«, sagte Germunt in die Kammer. »Der Tag kommt sicher.«

Er trat vorsichtig mit dem steifen Bein auf, dann etwas kräftiger. Die Schmerzen im Knie waren verschwunden.

Es hatten nur ein paar Tage werden sollen bei dem Bauernehepaar in den Bergen. Aber auch wenn ihn die alten Leute nicht mit der Kraft ihrer Arme halten konnten, sie konnten es mit Worten und tränenerfüllten Blicken.

Befiel Germunt Unruhe, dachte er an den Brief, den der Bischof erhalten mußte, dann sagte der Senner: »Ich hatte zwei Söhne, Germunt. Ich weiß, wie waghalsig junge Männer sind. Und ich habe keine Lust, noch einen von euch an die Schluchten zu verlieren. Warte, bis der Winter vorüber ist.«

Erwischte ihn die Sennerin dabei, wie er grüblerisch die Hänge hinaufsah, tropfte gleich Wasser aus ihren Augen. »Du denkst doch nicht ans Gehen? Bitte, sei vernünftig. Willst du dir den Hals brechen auf den glatten Pässen? Ich werde nie wieder froh, wenn du jetzt gehst und da oben im Eis umkommst.«

Germunt wollte ihnen keine Sorgen bereiten. Und er wußte, daß diese Sorgen berechtigt waren: Der Schnee verbarg die Wege in den Bergen, und das Eis konnte jeden Schritt in einen tödlichen Sturz verwandeln. Einmal habe ich es überlebt, auf der Flucht damals. Darf man Gottes Güte wieder und wieder herausfordern? Es war besser, er fand sich mit dem Gedanken ab, daß er bis zum Frühling bei den Alten bleiben würde.

Der Sennerhof war ein Reich mit eigenen Gesetzen und Zeiten. Ungemein wichtig waren die Kühe. Jede trug einen Namen: Bertrun, Anna, Ziska, Untrut, Reinhild, Ita. Es dauerte nicht lang, und sie begrüßten Germunt mit vertrautem Muhen, wenn er des Morgens zum Melken kam. Er lernte, sie zu unterscheiden. Nicht nur nach ihrer Größe oder der Form der Hörner, sondern nach ihrem Gesicht und ihrem Verhalten.



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