Der Junge von Reaktor 4 (German Edition) by Orest Stelmach

Autor:Orest Stelmach [Stelmach, Orest]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: AmazonCrossing
veröffentlicht: 2015-05-04T16:00:00+00:00

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»Es ist ein Uhr vierzig, und ich möchte keinen Verdacht erregen«, sagte Karel, nachdem sie sich durch einen Hintereingang in sein Laboratorium im Kraftwerk von Tschernobyl geschlichen hatten. »Also werde ich die Deckenbeleuchtung nicht anschalten.«

Er schnappte sich eine Flasche Quellwasser aus einem tragbaren Kühlschrank und reichte sie Nadia. »Iss auch eine Tüte von diesen gemischten Nüssen«, sagte er und bot ihr einen verschweißten Plastikbeutel an. »Die sind aus Kiew. Angebaut in der östlichen Ukraine. Ich weiß, dass du im Augenblick etwas paranoid hinsichtlich Essen bist. Das war zu erwarten. Iss, trink, während ich diese Dias für dich vorbereite.«

Das Labor roch nach Formalin. Nadia entfernte einen Stapel Zeitschriften und Bücher von einem metallenen Klappstuhl, setzte sich darauf und aß die Nüsse. Ihre Augen hatten sich auf der Rückfahrt von Oksanas Heim zum Kraftwerk an die Dunkelheit gewöhnt. Eine grüne Lampe warf einen schwachen Lichtkreis um Karels Schreibtisch.

Bilder tauchten in dem Holzkohlegrau jenseits des Schreibtischs auf. Ein Dutzend Mäuse quiekte in ihren Käfigen auf den tragbaren Regalen. Eine Karte mit der Anatomie des Wolfs hing an einer Wand. Ein Poster, das die Auswirkungen der Strahlung auf ein Wildschwein darstellte, hing an einer anderen. In der Mitte des Raums lag auf einem rechteckigen Tisch eine Ansammlung von Werkzeugen, Tellern und Phiolen.

Als Nadia vor einer Stunde aus Damians Schlafzimmer gekommen war, hatte sie Karel von Oksana weggezogen und ihn gefragt, ob er von einer Substanz namens 5-Androstenediol gehört habe. Er hatte sie einen langen Augenblick ausdruckslos angesehen und war dann in Hektik verfallen. Er sagte, sie würden einen Ausflug auf seinem Motorroller unternehmen. In seinem Labor wäre es leichter zu erklären. Im Fall unvorhergesehener Ereignisse drängte er sie zu vergessen, dass Damian jemals diesen Ausdruck ihr gegenüber erwähnt hatte. Wenn sie befragt würde, was sie ohne entsprechende Papiere in der Zone täte, sollte sie der Polizei antworten, sie würde den sterbenden Onkel besuchen, von dem sie erst kürzlich erfahren hatte.

Das Einzige, was Nadia ganz genau wusste, war, dass sie am Morgen zu Damian zurückkehren würde. Ungeachtet dessen, was Karel ihr erklärte, hatte sie nach wie vor Fragen zu ihrem Vater, dem Jungen und zu Damian selbst. Und sie hatte den entschiedenen Eindruck, dass ihr Onkel vielleicht nicht mehr lange genug leben würde, um sie zu beantworten, wenn sie sich nicht beeilte.

»Komm mal her und sieh dir diese Objektträger an«, sagte Karel und hob den Kopf von einem Hightech-Mikroskop auf dem großen Tisch.

Nadia presste das rechte Auge an die Linse. Das Bild erinnerte an verstreute rosafarbene Kreise vor einem weißen Hintergrund. Einige der Kreise waren dunkler, während andere heller waren. Mehr als ein Drittel des Bilds war jedoch weiß.

»Das ist das Knochenmark eines Primaten, der ionisierender Strahlung ausgesetzt wurde«, erklärte er. »Ionisierende Strahlung ist Strahlung, deren Energie hoch genug ist, ein Atom oder Molekül zu verändern. Wie Röntgenstrahlung oder eine atomare Reaktion. Im Gegensatz zur nichtionisierenden Strahlung von niedriger Energie. Sie regt das Atom oder Molekül an, verändert es jedoch nicht selbst. Wie Funk- oder Mikrowellen. Für unsere Zwecke sprechen wir von ionisierender Strahlung.«

Nadia hielt das Auge auf die Linse gepresst.

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