Der Junge und die Taube by Shalev Meir

Der Junge und die Taube by Shalev Meir

Autor:Shalev, Meir [Shalev, Meir]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60381-1
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2014-12-16T23:00:00+00:00


5

Auch jene Nacht schlief ich im neuen Haus und bekam von ihm sogar ein Geschenk in Form eines Traums. In meinem Traum klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab. Erst hörte ich Stille, dann meinen Namen. Du riefst mich, zum ersten Mal seit deinem Tod. Sagtest: »Jair…« und noch einmal: »Jair…« Deine Stimme war weicher als sonst, aber ich erkannte ihre Klangfarbe und hegte keinen Zweifel: »Jair… Jair?…«, mit dem winzigen Fragezeichen, das du manchmal hinter meinen Namen setztest, das man kaum hören und gewiß nicht schreiben konnte und soviel hieß wie: Bist du’s? Bist du da? Antworte mir, mein Sohn…

Ehe ich mich fassen und antworten konnte, hatte meine Mutter schon aufgelegt. Der Traum war zu Ende. Stille trat ein. Nur die kleine Eule, die Zwergohreule alias gemeiner Satyr, skandierte draußen ihren Flötenton. Ich erwachte bestürzt. Warum hatte ich nicht geantwortet: »Hier bin ich, Mutter?« Warum hatte ich nicht gesagt: »Ich bin in dem Haus, das du mir gekauft hast.« Warum hatte ich nicht gefragt: »Wo bist du? Wann kehrst du wieder?«

Ich bin da, sagte etwas in meiner Brust. Sie ist weg, erwiderte mir die Wand. Jair?… Jair…? Jairi, Jairi, mein Sohn, mein Sohn – hallte mein Traum. Er ist es, bestätigten die Sinnesorgane. Er ist mit uns, laßt ihn ein, sagten die Erinnerungen. Und sofort erkannte ich besser meinen Platz und [251] mein Dasein und spürte das Haus, das meine Mutter mir gekauft hat und meine Gelihiebte mir baut, es wuchs und umhüllte mich wie eine gesunde, neue Haut, und das Gefühl war so angenehm und absolut, daß ich nicht wußte, ob es in mir wuchs oder als kühl-warmer Rückhauch an meine Stirn schlug.

Ich zog mir die Decke über den Kopf. Mein kleines Dunkel. Ich bin hier, an dem Platz für mich, umhüllt von deinem Geschenk. Ich bin der Raum zwischen den Wänden. Ich bin der Mann und sein Haus. Ich bin mein Haus und das Darinnen. Ich bin der Fußhalt, ich bin der Türpfosten, ich bin der Raum zwischen Boden und Decke.

Die Blässe endender Nacht erwartet meine sich öffnenden Augen – wieviel Zeit ist vergangen? – wie die Gesänge der Bülbüls in meinen Ohren, wie die Fortsetzung des Traums in meinem Herzen. Laß mich gehen, denn die Morgenröte ist aufgestiegen, hast du gesagt. Laß mich gehen, mein Sohn.



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