Der Geist der Madame Chen by Tan Amy

Der Geist der Madame Chen by Tan Amy

Autor:Tan, Amy [Tan, Amy]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-27T00:00:00+00:00


Und so passierte es wirklich.

Um halb zehn Uhr vormittags hatten meine Freunde ihren Besuch in der Weberei beendet. Sie standen auf dem Anlegesteg, um gleich in die Langboote zu steigen. »Als Nächstes«, verkündete Walter, »kommt meine Weihnachtsüberraschung für Sie. Wir müssen vielleicht ein kleines Stück laufen, aber ich bin mir sicher, Sie werden viel Spaß dabei haben.«

Allen gefiel der Klang dieses Wortes: Weihnachtsüberraschung. Welch eine hübsche Kombination von Silben. Pocke und Spitz fiel auf, wie schnell sie einer so simplen Einladung zustimmten. Eine Überraschung konnte schließlich alles Mögliche sein, oder etwa nicht?

Walter hatte einen Besuch an einer lokalen Schule geplant, wo die Kinder eine burmesische Version von »Rudolph the Red-Nosed Reindeer« einstudiert hatten. Er und der Lehrer waren sich vor Monaten einig gewesen, dass es den Schulkindern und den ausländischen Besuchern gleichermaßen große Freude bereiten würde. Er wollte mit allen Gruppen, die im Dezember da waren, vorbeikommen und bei der Gelegenheit auch um eine kleine Spende für die Anschaffung von Schulbüchern bitten. Auch wenn die Schulen nicht offiziell Weihnachten feierten, so war es doch als Beitrag zur Tourismusinitiative »Visit Myanmar« ihre Pflicht, mehr Touristen für sich einzunehmen, um das Bild ihres Landes im Ausland zu verändern. Die letzten beiden Gruppen, mit denen Walter hier gewesen war, hatten es als Höhepunkt ihrer Reise bezeichnet, der sie tief berührt hätte. Walter hoffte, dieser Gruppe würde es auch gefallen.

Meine Freunde, die auf dem Anlegesteg warteten, hatten keine Ahnung, dass die geplante Überraschung diese kleine Weihnachtsaufführung sein sollte. Daher warteten sie ungeduldig auf den Aufbruch, weil sie gespannt waren, was für ein beeindruckendes oder unterhaltsames Erlebnis ihnen bevorstand. Doch wie üblich verspäteten sie sich, diesmal, weil sie auf Rupert warteten.

»Du solltest ihm mal eine Uhr kaufen«, herrschte Vera Moff an.

»Er hat eine Uhr«, verteidigte sich Moff.

»Dann eine mit Timer und Wecker.«

»Seine hat zwei Timer.«

Pocke stieg aus seinem Boot, um Walter bei der Suche nach dem Jungen zu helfen. Walter ging in die eine Richtung und er in die andere, und in fünfzehn Minuten wollten sie sich wieder hier treffen. Ein guter Plan. Sie machten sich auf.

Glücklicherweise gab es neben jedem Anleger Verkäufer mit billigem Schmuck. Pappkartons dienten als Tische für die Auslage, und die Händler drängten die Touristen, doch die hervorragende Qualität ihrer Waren zu begutachten – anschauen, anfassen, kaufen! Bennie und die Frauen handelten eifrig, während Moff, Wyatt und Dwight am Ende des kleinen Anlegers standen und sich Cheroots ansteckten. Sie fanden, das schmecke wie eine Kreuzung aus einer Zigarette und einem Joint. Esmé kramte in den Naschereien, die ihre Mutter gekauft hatte, und entdeckte eine Tüte Truthahndörrfleisch, das sie sich mit Pfötchen teilen konnte.

Nach schon zehn Minuten sahen sie den Bootsführer in dem braunen Longyi mit Rupert zurückkehren. Der Ausreißer gestand, dass er ein paar Einheimischen einen Kartentrick gezeigt hatte.

»Ich hab dir doch gesagt, dass alle zusammenbleiben sollen, oder?«, sagte Moff. »Du kannst doch nicht einfach abhauen und tun und lassen, was du willst.«

»Die wollten unbedingt, dass ich es ihnen zeige«, erklärte Rupert. »Ehrlich.« Moff hielt ihm den üblichen Vortrag über Verantwortung, dass es unhöflich war, jemanden warten zu lassen, zumal wenn es sich um elf Leute handelte.



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