Der erste Sommer by Dorner Maximilian

Der erste Sommer by Dorner Maximilian

Autor:Dorner, Maximilian [Dorner, Maximilian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: DTV
veröffentlicht: 2012-07-28T22:33:03+00:00


Vor der Tür zu Annes Haus hockte Martin auf der Schwelle. Er trug sein altes Leinenhemd und die zerschlissene Kordhose. Neben ihm stand ein Schuhkarton mit Löchern an den Längsseiten. Der Corporal grinste über das ganze Gesicht, als er ihn erkannte. Schnell verabschiedete er sich von Anne, die sich bei ihm im Laufe des langen Spaziergangs durch den Englischen Garten eingehängt hatte.

»Sie kennen schon einen von unseren Jungs. Ihm lasse ich gerne den Vortritt. Es war nicht nett, wie Sie Leo im Schwimmbad behandelt haben. Er ist einer von den Aufrechten.«

Leo? Doch bevor sie ihm eine Frage stellen konnte, legte er ihr den Zeigefinger auf die Lippen.

»Ihr deutschen Fräuleins fragt zu viel und genießt zu wenig. Sie haben doch heute Nachmittag erlebt, wie schnell alles zu Ende sein kann. Enjoy!« Ohne sich noch einmal umzudrehen, marschierte er pfeifend davon.

Anne ging errötend auf Martin zu. Auf dem Bürgersteig zögerte sie und stampfte mit dem Fuß auf. Schließlich fasste sie sich und trat vor Martin, der sie mit seinen dunklen Augen ansah und sagte:

»Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Es war nicht richtig von mir, in deine Wohnung einzudringen. Ich hätte wissen müssen, dass du es dann mit der Angst zu tun bekommst. Nach all dem, was du erlebt hast. Eine Krähe soll nicht auf die andere einhacken.« Er streckte seine Füße aus und wippte mit den Schuhspitzen. »Ich habe das Geld gebraucht, um etwas herauszufinden. Zur Versöhnung habe ich dir noch ein Geschenk mitgebracht. Du bekommst es aber nur, wenn du mich dieses Mal lebendig davonkommen lässt!« Er lächelte sie einladend an und deutete neben sich.

»Wer bist du?«

Anne setzte sich. Neben Martin, als wäre nichts gewesen, als hätte sie vor drei Stunden nicht zum dritten Mal versucht, ihn zu töten. Anne war sich selbst unheimlich. Und er ihr auch, dass er sie trotz allem nicht mied. Nach einer Weile stellte er ihr den Karton auf den Schoß.

»Mach schon auf!«

»Dein letztes Geschenk habe ich im Schwimmbad liegen lassen. Warst du es, der dem Mädchen den Hut vom Kopf geschlagen hat?«, fragte sie. Dennoch lüpfte sie den Deckel und lugte hinein. Nachdenklich kratzte sie sich am Ohr.

»Soll ich die auch noch mit durchfüttern?«

»Freust du dich gar nicht?« Seine Stimme klang enttäuscht. Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Anne lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und betrachtete die lang gezogenen Schleierwolken am Himmel.

»Gestern hatte ich bei dem Gewitter Angst, dass ein Blitz in die Kastanie im Hinterhof einschlägt. Wenn die nicht mehr steht, hält gar nichts mehr. Alles ist so brüchig.«

Aus ihrer Handtasche kramte sie eine Bürste. Martin nahm sie ihr aus der Hand und fuhr durch ihr feuchtes Haar. Sie ließ es geschehen.

»Ich wollte das nicht, vorher im Schwimmbad. Ich weiß auch nicht, was mit mir passiert ist.« Anne beugte den Kopf. Wohlig kitzelte die Bürste ihren Nacken. »Rein bleiben und reif werden, das ist schönste und schwerste Lebenskunst. – Ist das nicht schön? Ich wollte immer, dass das mein Lebensmotto bleibt. Ist aus einem Buch. Seit ich dich kenne, merke ich, dass es unmöglich ist.



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