Der deutsche Adel by Demel Walter & Schraut Sylvia
Autor:Demel, Walter & Schraut, Sylvia
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406667053
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-12-17T16:00:00+00:00
4. Lebensräume und Lebensstile
«Von Adel sein», das meinte über die Jahrhunderte hinweg nicht nur rechtliche und politische Privilegien, besondere Erziehungs- und Berufswahlmuster oder Heiratsstrategien. Der Terminus bezeichnete darüber hinaus einen Lebensstil bzw. einen Habitus, der den Adeligen als solchen erkennbar machte. Es waren spezifische kulturelle Muster und Ausdrucksformen, Medien der Selbstdarstellung und Inszenierung des eigenen Standes, die den «Anderen» verdeutlichten, mit wem man es zu tun hatte. Vor allem die kulturellen Ausdrucksformen dieses Standes trugen dazu bei, zeittypische Bilder vom Adel entstehen zu lassen.
Wer sich heute mit Adel im späten Mittelalter beschäftigt, wird rasch auf das Bild des Ritters stoÃen. Was den Ritter im Selbstverständnis und in der Fremdwahrnehmung gegenüber dem älteren miles, also dem Soldaten der antiken Tradition, auszeichnete, war sein Ethos, das sich im Hochmittelalter von Westeuropa aus ins Reich verbreitet hatte: als christlicher Kämpfer (im Heiligen Land, gegen heidnische Slawen oder Türken), treu gegenüber seinem Lehensherrn, zwar meist nicht alphabetisiert, aber höfisch gebildet bis hin zur Dichtkunst, daher höflich besonders zu Damen, tapfer, dabei respektvoll-fair gegenüber dem (gleichrangigen) Gegner, ein Beschützer und Wohltäter der Schwachen. Sinnfälligen Ausdruck fand ritterliches Betragen im Turnier. Hier spielten auch die adeligen Damen eine wichtige Rolle. Nicht nur, dass sie als standesgemäà gekleidete Bewunderinnen der ritterlichen Kämpfe(r) auftreten sollten â die Höchstrangigen unter ihnen durften sogar entscheiden, wer überhaupt am Turnier teilnehmen konnte, freilich beraten durch Herolde als Wappenspezialisten.
Klischeehaft für den Adel der Frühen Neuzeit steht dagegen der Adel bei Hof. Vor der Kulisse prächtig und kunstsinnig ausgestalteter Schlösser, gewärmt vom Sonnenglanz, der den Fürsten umgab, sollte der Adel dazu beitragen, die Macht des Herrschers anlässlich prunkvoller Empfänge, Jagdgesellschaften und kultureller Events sinnfällig in Szene zu setzen. An den kleineren Höfen oder gar auf dem adeligen Landsitz suchte man im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten (und nicht selten über diese hinaus) das Vorbild der groÃen Höfe zumindest im bescheidenen MaÃe zu kopieren.
Für den Hof als gesellschaftliche Bühne entwickelten sich symbolische Formen, mit denen Rangunterschiede bildhaft zum Ausdruck gebracht werden konnten. Das höfische Zeremoniell stellte ein kompliziertes Regelwerk dar, nach dem der öffentliche Auftritt vorrangig eines Fürsten, aber letztlich jedes Adeligen zu gestalten war. Es handelte und handelt sich mitunter auch heute noch um ein Ordnungssystem, «nach dem die Träger souveräner Macht bey allerhand menschlichen Begebenheiten, an ihren Höfen und bey solennen Zusammenkünfften als auch ihre unter verschiedenen Characteren abgeschickte Ministri sich an frembden Höfen und überhaupt an allen Orten, wo sie zusammen kommen, zu achten haben, um sich dadurch bey Unterthanen und Frembden in gutem Ansehen zu erhalten, auch keinem weder zu viel noch zu wenig zu thun», so der Zeremonialwissenschaftler Christian Luenig 1719. Im weitesten Sinn beschäftigte sich das Zeremoniell mit allen Fragen des standesgemäÃen öffentlichen Auftretens, mit Höflichkeitsregeln, Kleidung und angemessenem Verhalten. Wer hat sich vor wem wie tief zu verbeugen? Wie grüÃt ein Adeliger einen Bauern? Wie viele Stufen soll der ranghöhere Adelige seinem rangniedereren Besuch auf der Treppe zur BegrüÃung entgegenkommen? Darf ein Reichsgraf sechs Pferde vor seine Kutsche spannen oder doch nur vier? Im Zeremoniell fanden die komplexen Systeme des höfischen Theaters sichtbaren Ausdruck.
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