Der Blick aus dem Fenster by Lange Hartmut

Der Blick aus dem Fenster by Lange Hartmut

Autor:Lange, Hartmut [Lange, Hartmut]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978325760694
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-08-25T16:00:00+00:00


[57] Nochmals: Das Böse

[59] Wie gesagt: Das Böse lauert überall, nicht nur an der Irischen See, sondern vor allem dort, wo der Horizont von einem Häusermeer umstellt ist. Oder wie soll man jenes Ereignis deuten, das sich, es ist lange her, weit unter der Erde, aber doch mitten in der Stadt, genauer, an der Ecke zwischen der Wilhelm- und der Voßstraße vollzog.

Inmitten einer kleinen Tischgesellschaft saß da bei spärlichem Lampenlicht ein Brautpaar, das auf den Standesbeamten wartete. Er, der Bräutigam, in Uniform, sie, die Braut, trug eine helle Bluse, und rundherum saßen die Trauzeugen. Die Detonationen, die die engen Wände in regelmäßigen Abständen erschütterten, erinnerten daran, dass allen nur noch wenig Zeit blieb.

»Sie beschießen den Hof über uns«, sagte die Ordonnanz, die in der offenen Tür stand. »Mein Führer, zweihundert Liter Benzin stehen bereit. Ich will nicht drängeln, aber wenn Sie rechtzeitig verbrannt werden wollen, müssen Sie sich beeilen.«

Keine halbe Stunde später war es jenem, auf den [60] alle warteten, endlich gelungen, die feindlichen Linien zu überwinden, so dass er, die nötigen Papiere unterm Arm, an den Tisch treten und die Trauung vollziehen konnte. Es war ja nichts weiter als das Versprechen ewiger Treue und dass man, und das war das Wichtigste, arischer Abstammung war. Man erhob die Gläser, prostete einander zu, bemühte sich, dem Anlass gemäß, um gute Laune. Dies dauerte einige Stunden, dann ging man wieder auseinander, und zuletzt, auch der Ehemann hatte sich entfernt, saß jene, die den Trauschein in der Hand hielt, allein an dem Tisch, den man inzwischen abgeräumt hatte.

Der Raum, in dem sie sich befand, war eng, ebenso der Korridor, den sie, da die Tür geöffnet war, vor Augen hatte, und irgendwann kam es ihr vor, als würde sich von links her, von dort, wo man den Bunker durch meterdicken Beton abgesichert hatte, etwas bewegen. Zuerst war es ein Schatten, dann, der Korridor war hermetisch abgeriegelt, hörte sie ein Flüstern, so dass sie augenblicklich den Notruf betätigte, um dem Wachdienst, der herbeistürzte, ihre Beobachtung zu melden. Man war ratlos, vor allem, weil die Gemahlin des Führers nicht wusste, ob sie sich geirrt hatte. Trotzdem suchte man die Mauern im Korridor ab.

Dies geschah, nochmals gesagt, unter der Erde. [61] Und wer waren jene, die sich mit dem Bösen auf derart unwiderrufliche Weise eingelassen hatten und die von einem Flüstern, das sie sich nicht erklären konnten, in Panik versetzt wurden?

Es waren, um mit dem Brautpaar zu beginnen, ganz und gar unauffällige Leute, wie man ihnen auf jeder Straße begegnet. Menschen wie du und ich, die als Fotolaborantin oder Postkartenmaler ihr Leben hätten beenden können. Ähnlich hätte man auch die anderen, die Weggefährten des Führers oder die Bediensteten, den Umständen eines normalen Lebens zuordnen können, in dem die Devise »Du sollst nicht töten« eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre. So aber, nach der Berührung mit dem Bösen, galt es vor allem, den anderen, den Unerwünschten, auf mörderische Weise überlegen zu sein, und falls es nicht mehr gelang und falls man zu guter Letzt heiraten wollte, musste man sich beeilen.

Die



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