Der blaue Amtsrichter by Erdmann Graeser

Der blaue Amtsrichter by Erdmann Graeser

Autor:Erdmann Graeser [Graeser, Erdmann]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-06-05T00:00:00+00:00


Die Verlobungsfeier

„Hooch, hoooch und zut dritte ma’ hoooch!“ brachte Onkel Karl, der schon einen etwas roten Kopf und eine etwas heisere Stimme hatte, wieder einen Toast aus. Frau Lemke führte ihn, am Ärmel ziehend, etwas abseits. „Nu is aber jenuch, Karrel“, sagte sie warnend.

„Denn nich, denn feire ick die Valobung nich mehr mit“, sagte er gekränkt.

„Nimm doch Vanunft an“, redete sie ihm zu, „watt soll denn der Mann von dir denken, seit det Mittachessen trinkste den schweren Rotwein und schreist hoch!“

„Ick bin derjeniche, welcha ...“ sagte Onkel Karl und tippte sich energisch auf die Brust.

„Ja — die scheene weiße Weste — een’n Rotweinfleck neben ’n an’nern, sehst ja schon aus, a’s wennstet Scharlach hast!“

„Schad’t nischt, det jeht wieda ’raus, ick hab’ mir schon Salz druffjestreit“, sagte er sorglos. Und dann nahm er den abgebrochenen Satz wieder auf und rechnete ihr seine Verdienste vor: „Ick bin derjeniche, welcha ... Ick hab’ eich allen die Zunge jelöst! Ick hab’ Onkel Aujusten und Tante Liese und Tante Marie und den Krause — ibahaupt alle — herjeholt, denn sonst wär det in’t janze Leben keene Valobung nich jeworden!“

„Jadoch!“

„Ick habe die meesten Reden jeredet, bis ick ihn anjestochen habe, det er von seene Afindung azehlt hat!“

„Jadoch!“

„Denn er war mechtich zujekneppt, wahr?“

„Wenn du man d’raus kluch jeworden bist“, sagte Frau Lemke.

„Ick? Ick weeß jetz bessa Bescheid wie er“, sagte Onkel Karl, „det is doch ’n Klumbummbusei, bloß det man’s eben ausbrietet.“

„Na — denn is ja jut“, sagte Frau Lemke, „wenn du — und du vastehst ja wirklich wat von sowat — wenn du jloobst, det der Fluchapparat ’ne Zukunft hat ...“

„Wir leben doch in’t neinzehnte Jahrhundert, wenn wir vorne ooch noch imma achtzehnhundert schreiben —“ begann Onkel Karl auszuholen. „Wenn nu Anfang dieses Jahrhunderts die Eisabahnen afunden wurden, wa’m sollen wir denn jejen Ende zu nich sonne Fluchapparate afinden?“

„Ick seh’ ooch keen’n rechten Jrund nich“, sagte Frau Lemke, „aba nu hören wir uff mit, azehl’ mir nich allet noch ma’ von vorne — er hat et ja schon so scheen jesacht. Mir soll et wirklich freien, in sonne Fluchdroschke ersta Klasse ’rumzujondeln.

„Meene streich ick blau an“, sagte Onkel Karl.

„Meenswejen, ick bin mehr for Jrien“, sagte Frau Lemke, „und nu komm’, Karrel, nu wollen wir wieda bei die an’nern jehen. Und denn nimm dir ’n bisken zusammen und führ’ dir anstendich uff. Trink’ nischt mehr, et schad’t dir, du kannst ’n Herzschlach kriejen!“

„Denn bin ick uff eenmal wech“, sagte er trübe, „ibahaupt, ick werde det allet nich mehr aleben, die janze neie Zeit nich, die nu kommt. Und wie jerne wär’ ick ma mit meene Fluchdroschke um die Siejessäule jekreist, hoch ahaben iba den Jestank diesa Erde!“

Frau Lemke sah ihn nachdenklich an — es war wohl besser, Onkel Karl erholte sich erst ein wenig von den Strapazen des Tages. In dem Zustande jetzt konnte er nur die Stimmung der andern ungünstig beeinflussen. Und er ließ sich auch zureden, setzte sich nebenan in die kühle, dunkle Stube auf Großvaters alten Sessel und gab sich einsam seinen melancholischen Betrachtungen hin.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.