Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau - Roman by Luchterhand
Autor:Luchterhand [Luchterhand]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-01T16:00:00+00:00
Wenn ich noch in meinem eigenen Haus sterben wollte, musste ich mich jetzt wirklich beeilen. Da war er nämlich, der lang ersehnte Moment, der Tag, an dem ich ins Altersheim zog, »Geriatriezentrum Winterlicht«, wie sich ein paar Stunden später herausstellen sollte. An einem gewöhnlichen Samstag, wie geschaffen zum Einkaufen, Fensterputzen, Autowaschen, Kinder zum Sport Kutschieren, Sperrmüll zum Recyclinghof Fahren. Aber nicht für mich.
Nebensächliche Veranstaltungen wie den Geburtstag seines Vaters betrachtete unser Hugo schon lange nicht mehr als Verpflichtung, seinem Elternhaus einen Besuch abzustatten. Vom Einzelhandel und sonstiger Wirtschaft gekaperte Feste wie Nikolaus, Muttertag oder Silvester lieÃen ihn erst recht kalt, und eigentlich beneidete ich ihn darum. Er war einfach nicht der gefühlsduslige Typ und führte ein vielbeschäftigtes Leben, in dem für Törtchen und SüÃholzgeraspel mit seinen Erzeugern einfach kein Platz blieb. Hin und wieder brach Moniek deswegen in melodramatische Arien aus und warf ihrem Sohn Undankbarkeit vor, was seine Lust, uns zu besuchen, natürlich noch mehr dezimierte.
Jetzt jedoch war er da. Schlecht rasiert, aber er war da.
Vielleicht hatten seine Mutter oder seine Schwester an seine männlichen Fähigkeiten appelliert und an die Verantwortung, die damit einherging. Wenn auch kein junger Spartakus mehr, eher ein Vierziger, der verzweifelt nach dem richtigen Kopfkissen zum Beheben seiner Nackenbeschwerden suchte â beim Auseinander- und wieder Zusammenschrauben eines Kleiderschranks konnte Hugo seiner Familie immer noch nützliche Dienste erweisen. AuÃerdem musste ein alter Fernseher vom Dachboden geholt werden, und auch das Einzelbett aus dem Gästezimmer sollte zusammen mit mir umziehen â alles Männerarbeit.
Wessen Idee es war, ist mir ein Rätsel, doch offensichtlich hatte man beschlossen, mein letztes Frühstück zu Hause im Familienkreis zu zelebrieren. Alle zusammen. Die Kinder, Moniek und ich. Ohne angeheiratete Unruhestifter. Nur wir vier.
Charlotte war mit verheulten Augen am Ort des Geschehens erschienen. Und einer Tüte Cremeschnecken, knusprig frisch und sogar noch leicht warm. Die Familie kannte meine Schwäche für Pudding. Bevor er sich auf den elektrischen Stuhl setzte, verlangte der Serienmörder Ted Bundy eine Portion Steak mit Eiern, Victor Feguer (»the last man Uncle Sam executed«) bevorzugte eine entsteinte Olive. Meine Henkersmahlzeit hätte aus einem Berliner Pfannkuchen bestanden, hundertprozentig. Mit Vanillecremefüllung (die Spielart mit Konfitüre mochte ich nicht). Nur um zu illustrieren, wie versessen ich auf diese göttlichen Dinger war. In meinem normalen, vordementiellen Leben hatte Moniek mir diese Leckereien jedoch so häufig wie möglich verboten: »Bist du noch nicht dick genug? Deine Arterien sind jetzt schon verstopft, von all dem Wein, den du in dich reinschüttest!«
Diesmal jedoch hielt sie den Schnabel.
Täuschte ich mich, oder hatte sie ein Beruhigungsmittel geschluckt?
Hugo presste Orangen aus, und nach dem Geschick, mit dem er einen Strahl Saft an die Decke spritzte, war es das erste Mal in seinem Leben. Im Hintergrund das Cellokonzert von Giuseppe Tartini, ein Musikstück, das ich eigentlich erst zu meiner Beerdigung wieder zu hören gehofft hatte. Meine Frau mochte Tartini nicht. Wie auch Bach oder Pärt oder Bruch. Mein Geschmack war ihr zu düster. Und erst recht gleich zum Frühstück. »Morgenkaffee und Beerdigungsmusik, na vielen Dank auch!«
Und ich, der ich mich nie aufgerafft
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